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Internierungslager: Zeitzeugen


Wilhelm Rott

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von © Bettina Rott.

Predigt über die Heilung des Taubstummen

Markus 7, 31-37 - 2. Sonntag nach Trinitatis

1.) „Sie brachten vor ihn einen Stummen, der taub war.“

Rembrands « Hundertjahresblatt » mit Jesus. Die Fülle des Lichtes der Mitte“ der wie ein Licht-magnet das Elend, der Menschheit Jammer an sich zieht. Das sonst im Finstern schleicht, in dunklen Kammern verborgen wird, nun kriecht das Elend aus den Höhlen, nun wird es offenbar, was es alles gibt an Missgestalt, Krankheit und Seufzen. Sie brachten zum ihm: und nun steht als Repräsentant der missgestalteten, geschändeten Schöpfung vor ihm – ein Taubstummer.

Wie unwichtig jetzt die Frage, ob hier nur ein Fehlgriff der Natur vorliegt, ein Ast im kostbaren Ebenholz, etwas letztlich doch Natürliches, über das man die Decke breitet. Das man mit in Kauf nimmt.....oder ob hier eine schreiende, empörende Disharmonie hörbar wird, ob hier, wie ein altes Gebet sagt, eine Schändung des Werkes Gottes durch den bösen Feind vorliegt. Diese Frage darf heute auf sich beruhen bleiben.

Ein Tauber, der stumm war. Ein unvergessliches Bild, was weit über das leiblich medizinische hinausgeht. Dieser Mangel, diese Verkrüppelung, recht eine besondere Sprache. Sie offenbart etwas, zeigt etwas. Ein Taubstummer kann sehen. Er wird seinen Gesichtssinn besonders ausbilden Er lebt von Bildern In Bildern manifestiert sich ihm die Welt und die Überwelt. Sein angespanntes Ausschaun bringt sich zurück in ihn hinein. Es gibt so viel Erschreckendes, Rätselhaftes, Beängstigendes zu sehen. Aber da ist für ihn keine Stimme, die das Verwirrende, Vieldeutige, Zweideutige deutet, aufhellt und damit ihn tröstlich beruhigt. Das die sichtbare Welt deutende, klärende unsere Unruhe tröstende Wort fehlt. Der Taube ist misstrauisch. Kein Wunder! Wie lässt man ihn ‚links liegen’! Wieviele Versuche von seiner Seite, nur ja den Anschluss an das Geschehen vor ihm her zu finden, wie viele krampfhafte und letztlich erfolglose Bemühungen! Da gibt ihm kein Gott ein Wort, zu sagen, was er duldet. Kein Wort, in dem er sich aussprechen, offenbaren kann Kein Wort, das die Unruhe in ihm bannt, sein Misstrauen überwindet. Er sieht die Welt, das Wort fehlt ihm- Was leisten oft Blinde, welch eine reiche Innenwelt spricht sich oft in den Werken ihrer Hände, ihrer Gedanken, ihrer Musikalität aus. Wie arm dagegen ist der taubstumme. Ein Mensch, dem das spezifisch Menschliche, das Wort versagt ist.

Der Taubstumme zeigt unsere metaphysische, unsere religiöse, unsere tiefe menschliche Not an. Sind wir nicht taubstumme Ruinen? Wir leben in der sichtbaren Welt, deren Glanz uns in tausend Bildern berührt. Ein Bild-Eindruck aus dem Bereich der Natur, der Geschicke jagt den anderen. Entzückt uns Film-Menschen. Und ängstigt uns Dann zu Zeiten, und oft langen Zeiten, sind die Bilder voller Rätsel und Grauen. Dann verstehen wir die Welt nicht mehr. Himmelhochjauchzend zu Tode betrübt. Wir sind müde vom Sehen, die Augen schmerzen, wir weinen, schreien, wenden uns ab, verschließen uns, verkriechen uns in die Höhle, in dir der Kummer plagt. Es ist genug, Herr, nimm meine Seele.“ In tiefer Not wird die Welt erdrückend.

Und nun fehlt das Wort. Unsere Ohren und Herzen sind geschlossen. Gibt es ein deutendes, gibt es ein tröstendes, wegweisendes, gebieterisches Freuden-Wort? Vielleicht? Aber der Taube weiß es nicht, weiß es vielleicht nur theoretisch, und das heißt: letztlich: weiß es nicht, kennt es nicht. Es ihm nichts.

„Dem Tüchtigen ist die Welt nicht stumm.“ Ha, dem Tüchtigen. Aber er ist – taub. Und wie für ihn die Welt stumm ist, weil für ihn der stumm ist, der die Welt in seinen Händen hält, ist auch er stumm. Geistige Taubheit ist geistige Stummheit. Geräusche steigen auf aus den tauber Existens. Sinnlose, hilflose Geräusche, Geschwätz, gerade aber nicht das Wort, das befreiende, lösende in die Freiheit führende Wort. Nicht das Gebet, das Gespräch des Herzens mit Gott. Die Bitte, Fürbitte, Danksagung.

Der Taubstumme, der Einsame, Verkrümmte, Höhlenmensch, der Misstrauische, der Himmelhochjauchzende, zu Tode betrübte, ist der Heide, der alte und der neue Heide. Der Massenmensch, der Filmmensch, der nach Eindrücken Jagende und doch nie Zufriedene, Stille. Der Mensch des 20. Jahrhunderts. Wirklich eine Ruine!

2.) Kann er sich selbst helfen? Kann er noch etwas hören, kann er Apparate benutzen. Ist er ganz taubstumm, so ist er hilflos, auf Gnade oder Ungnade den Menschen ausgeliefert, deren Zeichensprache niemals das Wort der Liebe ersetzen kann.

Aber Jesus ist da, der Heiland. Und da wachsen die Liebeskräfte des Menschen. Sie brachten den Taubstummen zu ihm. Wir können dem misstrauisch, in sich selbst Verkrümmten nicht helfen. Aber wir können ihn zu ihm bringen. Wir können für ihn tun. Wir können für ihn bitten. Er kann ja nicht für sich bitten. Er ist zu verzweifelt oder zu stolz.

„Sie baten ihn, dass er die Hand auf ihn legte.“

„Ein Arzt ist uns geboren, der selber ist das Leben.“

Wird er helfen?. Liegt seine Hand auch schwer auf ihm, Tag und Nacht? Oder ist die schwere Hand in Wirklichkeit die Hand Jesu, die er auf ihn legen, mit der er ihn für sich beanspruchen will?

3.) Du müder, verzweifelter, misstrauischer Taubstummer, Jesus ist am Werk. Merkst du es nicht, dass du besondere Wege geführt wirst, abgetrennt und abgeschnitten bist von der breiten Heerstrasse? „Jesus nahm ihn von dem Volk besonders.“ Er wird herausgerufen aus der Menge, wie Abram herausgerufen wurde aus dem Vaterland und Vaterhaus um in Gottes Schule Träger des Segens zu werden, Vater eines großen Volkes. Das Elend fing an mit der Absonderung von Gott, die Heilung beginnt mit einer Be-Sonderung vom Volk der Masse, in der wir uns so gerne verstecken. Wahrhaftig: Der Arzt führt nur Sonder-Behandlungen durch. Es geht bei ihm immer höchst privat zu und ganz. Der Du,... ganz unmittelbar Auch die Krankenträger trete zurück. Auch die Brüder = Seelsorger treten zurück, es kommt zu dem Todesernst der letzten Einsamkeit vor Gott, die der Ernst, aber auch die Hoffnung unseres Lebens ist. Warum wundern wir uns, warum klagen wir, wenn unsere Situation so gänzlich außergewöhnlich, außerordentich, exponiert zu deutsch: herausgestellt und darum gefährdet ist, während bei anderen alle so viel glater, ruhiger zugeht? Jesus nimmt uns „besonders“. Weil er uns auch „besonders“ vor allem liebt. Lasst uns dankbar werden auch für die Besonderheit unserer Lage. Sie ist voller Verheißung und Hoffnung. „Sonderlich“!

4.) Denn sie ist eingesehen – nicht von uns, aber von Ihm. Ihm ist das Ruinenfeld: taubstumm offenbar. Er steht mitten im Jammer letzter Menschennot. Wie steht er da? Nicht in triumphaler Siegesgebärde, nicht als Amos, nicht in der leuchtenden Gestalt des Gottgleichseins: auch nicht überlegen und bedrückend, sondern priesterlich (barmherziger Hohepriester) als Mittler zwischen fluchbeladener Erde und dem Himmel.

Das sehen wir? Er wendet sich dem Elend, dem ganz besonderen Elend, ganz zu, tritt ganz nahe heran, bezeichnet die „wunden“ Stellen: Ohren und gelähmte Zunge. Er, der Heiland, der Arzt rührt der Welt an. Noch einmal wird alles aufgewühlt. Beginnt nun der ärztliche Kunstgriff, die Operation? Oder macht das alles nicht doch sehr einen Eindruck: hier ist ein Dramaturg, ein Zaubermeister am Werk.

Keins von beidem – Der uns zugewandte Menschenbruder ist der Sinn. Der Priester hat die Verbindung mit unserer Schwachheit hergestellt. Nun wird diese Not an den Himmel gehängt.

Jesus seufzt – seine Hilflosigkeit: der Menschheit ganzer Jammer fasst ihn an, legt sich als beängstigender Druck auf seine Seele, welch ein Trümmerfeld! Trauer, aber auch Schmerz und Grimm über das Wüten des Feindes!

Jesus sieht auf gen Himmel. Keine Bewegung auf Erden wird die Tyrannei des Todes erschüttern. Unsere Taubstummheit kann nur bekämpft, besiegt werden durch die Bewegung, die vom Himmel kommt. (Ach dass Du den Himmel zerrissest und führest hinab! Da, der Himmel ist durch Jesus zerrissen, Er ist da unten, mitten in dem Trümmerfeld. Aber als der gehorsame Sohn, nicht als Musketier, als Halbgott, als eine der Zaubergestalten, die mit einem Wunderschlag alles wenden. Er ist da unten, bei uns, unter uns, als der Demütige, gehorsam bis zum Tode, als der Beter von Gethsemane und Golgatha: Vater!“ Jetzt erniedrigt er sich wieder, macht sich leer, gibt sein Seufzen – sein Helfenwollen gefangen in den Willen des, der ihn gesandt hat. Der Sohn kann nichts aus sich selbst tun, sondern was er sieht den Vater tun, denn was dieser tut, das tut gleicherweise auch der Sohn.“ (Joh 5,9). Seines Werkes, seines Willen gewärtig, die ewige Heilsbewegung - jetzt sieht er sie, und nun beginnt die geistliche Hilfsaktion. Mit einem Wort, aus der Ewigkeit ihm in den Mund gelegt.

5.) Hephata. Tu Dich...! Das ewige Heil steht vor den Toren unserer kleinen festen Burg Die ist wie zusammengeschossen und immer tiefer haben wir uns vergraben, jetzt liegen wir da, im Gefängnis unseres Lebens. Verschüttet, zugedeckt, verschlossen und gebunden. Aber das Wort göttlichen Geheimnisses sprengt die Riegel, löst die Bande. Es ist das Wort göttlicher Neuschöpfung, das Wort dessen, der spricht: Siehe, ich mache alles neu! So er spricht, so geschieht’s; so er gebietet, so steht’s da, herrlich wie am erste Tag! Ist nicht mein Wort wie Feuer und wie ein Hammer, der Felsen zermalmt?

6.) „Alsbald taten sich seine Ohren auf und das Band seiner Zunge ward los und er redete recht.“

Auch wir werden seine Wunder sehen. Denn die Erhörung seines Gebetes, die Deutung des befreienden Wortes, das tut, was es sagt, das sind die Wunder. „Das Wort geht von dem Vater aus und bleibt doch ewiglich zu Haus, geht zu der rechten Abendzeit, das Werk zu tun, das uns befreit.“

Das Wort wird unter uns verkündigt. Und es gilt uns: Wir haben nicht zu fragen, was wir uns zutrauen, sondern ob wir Gottes Wort zutrauen, dass es Gottes Wort ist: tut, was es sagt.

7.) Gottes Wort sagt: Hephata. Tu Dich auf. Du verschlossener Taubstummer. Du verschlossener, gebundener Mensch, du Maschinenmensch, bei dem das Getöse der Maschinehalle den Glockenklang übertönt, ja zunichte macht. Du geschäftiger Weltmensch, dessen Ohren durch die Weltgeräusche taub geworden sind für Gottes Stimme und Rede zu den Verzweifelten und Verzagten, der ins Schneckenhaus ruft in der finsteren Höhle kümmerlicher Geräuschen. Gottes Wort sagt, hinweg die Lähmung, hinweg die Fessel, die deine Zunge bindet, dich sprachlos, arm macht für Gott und den Nächsten. Hinweg du geistlicher Tod, Starrheit, Kälte, Grimm, verbissene, sprachlose Wut: Werde hörend, werde redend, werde frei!

8.) Gottes Wort tut, was es sagt Wo Gottes Wort vertrauensvoll gehört, aufgenommen wird, da ist es am Werk. Auch unter uns geht das Befreiungswerk des Wortes voran. Das des Wortes sein Wie? ist und bleibt Gottes Geheimnis. Wir sehen nur unsere Taubstummheit und das erste neue Hören, das erste Staunen im Reden, Loben und Danken. Es versinkt das Geschwätz der Leute, es beginnt das rechte Reden. Es versinkt das sinnlose Preisen der großen Taten der Menschen, es beginnt der Lobpreis der großen Taten Gottes. Die Welt ist kein Gefängnis mehr, sondern in Berg und Tal, ja auch tiefem, tiefem Tal wölbt sich der der Ausgangsort jener großen Befreiungs- und Heilsbewegung für uns. Das Wort des Vaters schließt unsere Ohren auf, löst unsere Zunge. Offenbarung ist Öffnung unseres Lebens und seines Geheimnisses. Nein, es ist kein böses Geheimnis über unser Leben. Nein es ist das große, reichlich große und gute Geheimnis Gottes. Und darum ist Lobgesang der Grundton unsres Lebens als wäre jeder Puls ein Dank, jeder Odem ein Gesang!

Jene ersten Zeugen bezeugen die Realität der Wandlung vom Tod zum Leben, von Taubheit zum Hören vom Stummsein zum Reden: Er hat alles wohlgemacht. Ja, mit der Besserung der Taubstummheit ist alles recht geworden. Mit dem neugeschenkten Hören und Reden kommt alles in Ordnung, in gute, göttlich gute Ordnung. Das befreiende Wort holt alles, alles heim. Es sagt und tut: Siehe, es war sehrgut...... Ja, Gottes Amen: Gut. Es ist gut! Und da ist Freude.

* Quellen:

  • E-Mail von Bettina Rott, Neckargemünd, an Moosburg Online, Juni 2004.

    Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von © Bettina Rott.

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