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Internierungslager: Zeitzeugen


Wilhelm Rott

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von © Bettina Rott.

Morgenandacht, Moosburg, Freitag 30.November 1945 Psalm 139 (2.Teil)

HERR, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht schon wüsstest. Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen. Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht. Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele. Es war dir mein Gebein nicht verborgen, / als ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebildet wurde unten in der Erde. Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war. Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken! Wie ist ihre Summe so groß! Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand: Am Ende bin ich noch immer bei dir. Ach Gott, wolltest du doch die Gottlosen töten! Dass doch die Blutgierigen von mir wichen! Denn sie reden von dir lästerlich, und deine Feinde erheben sich mit frechem Mut. Sollte ich nicht hassen, HERR, die dich hassen, und verabscheuen, die sich gegen dich erheben? Ich hasse sie mit ganzem Ernst; sie sind mir zu Feinden geworden. Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich's meine. Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.

Der 139 Psalm lehrt uns durch das rechte Gebet erkennen, wie wir zu Gott stehen, dass es von unserem Sein und unserem Denken aus keinen Zugang zu dem Geheimnis unseres Gottes gibt; dass Gott wirklich Licht ist, dass Gott Geheimnis ist, dass wir nicht in das Geheimnis eindringen können, dass aber umgekehrt Gott, der Allwissende und Allgegenwärtige in das Geheimnis unseres Seins und in die verschlungenen Falten unseres Herzens hineinleuchtet mit dem Licht seines Geistes und auch alle Rätsel sieht, die uns bedrücken; denn wir kennen uns ja selbst nicht und alle Psychoanalyse und erfahrene Seelentechnik zeigt ja, dass wir uns selbst nicht erkennen, wenn wir es auch versuchen. Es ist wie Spott, wenn wir sehen, dass gerade Leute, die über die Technik der Seelenkenntnis zu verfügen scheinen, gegen sich selbst so unkritisch sind und sich auch gar nicht selbst damit helfen können. Wir sind uns selbst ein Geheimnis und meist ein böses und bedrückendes Geheimnis.

Nun aber lehrt uns der 139.Psalm, dass uns Gottes Allgegenwart und Allwissenheit durchdringt . "Du durchdringst alles." Das so Bedrückende und Rätselhafte unseres Lebens in seinen Wurzeln ist, dass Gott alles weiß. Nicht nur alles weiß, sondern er ist es ja, der uns in seinen Händen hält, der die Wurzeln unseres Seins gelegt hat, er ist es, der uns als der Schöpfer bereitet hat, gebildet hat im Mutterleib. Wenn man das weiß, dass so unergründlich rätselhaft wir uns selbst sind, Gott uns gemacht hat, und nicht wir selbst, und er hat uns gemacht, damit er uns in unserem Sein auf die Höhen führe, er hat uns gemacht, auf dass wir etwas seien zum Lob seiner herrlichen Gnade. Darum beginnt in dem Augenblick, in dem wirklich mit Verstand gesagt wird: "Du hast meine Nieren bereitet und mich im Mutterleib gebildet" - Doppelpunkt - auch schon der Dank: "Ich danke Dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin, wunderbar sind deine Werke und das erkennet meine Seele wohl." Beachtet hier den Übergang: "Du hast mich gemacht" und nun weiter: "Ich danke Dir, dass ich wunderbar gemacht bin. "In dem Augenblick, in dem wir erkennen, dass wir das Werk seiner Hände sind und dass er in dem uns unzugänglichen Dunkel am Werk gewesen ist, dass es Gott und kein Götze gewesen ist, dass es Gott ist und kein Schicksal, Gott, das gute und offenbare Geheimnis unseres Lebens, kommen wir zur Erkenntnis, dass wir wunderbar gemacht sind, dass wir wirklich ein Wunder in Gottes Händen sind, in dem Augenblick bekommt unser Leben, das soviel zergliederte, gepeinigte, gelästerte, wieder den Glanz des Wunders Gottes. Sollte nicht gerade in dem Übergang von Vers 13 zu Vers 14 eine große Hilfe für unser rationalisiertes und technisiertes Zeitalter sein, das das Menschenantlitz und Ebenbild Gottes im Menschen geschändet hat, für unsre Zeit, in der der Mensch ein Kopf geworden ist -man zählt ja nach Köpfen- oder eine Nummer, oder man ihn wie ein Ungeziefer betrachtet, das man zertreten kann? Hier betet nun innerhalb solcher Zerstörung und Verzerrung der Schöpfung die Gemeinde mit dem Beter des 139. Psalms: "Denn Du hast meine Nieren bereitet, Du hast mich gebildet im Mutterleib." Das darf auch der beten, in dem die Krankheit, die Vorboten des Todes wüten. "Du hast meine Nieren bereitet, Du hast mich gebildet im Mutterleib." Ich danke Dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin! Von der Erkenntnis des Wunders Gottes über meinem Leben weitet sich nun der Dank: "Wunderbar sind Deine Werke, alle Deine Werke; und das erkennt meine Seele wohl." Es wird hier ein Erkenntnisweg für die Werke Gottes aufgezeigt, der wiederum kein verstandesmäßig rationaler ist, sondern ein Erkenntnisweg, der in der Anbetung, im Gebet beginnt, damit, dass ich im Gebet Verbindung mit der Quelle alles Lebens, mit meinem Schöpfer bekomme und dass ich also über das Gebet auch zu der Erkenntnis meiner selbst komme. Und nun stößt im Gebet die Erkenntnis noch tiefer: "Es war dir mein Gebein nicht verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebildet wurde unten in der Erde. Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war."

Über unser Leben und seinen Ursprung hinweg dringt der Beter in seiner Gebetserkenntnis vor zu dem Plane Gottes, der für mich bestanden hat, ehe denn ich war. Gott hat mich vorausgesehen, mein Name war in seinem Buch geschrieben, ehe ich war, und als ich dann in die Existenz treten sollte zu der Zeit und unter den Umständen und an dem Ort, den Gott für mich bestimmt hat. Da wurde dieser ewige Liebesplan Gottes ausgeführt. Wie einer einen Voranschlag macht und nach diesem Voranschlag wird auch tatsächlich alles ausgegeben, so besteht ein Plan Gottes für mich. Mein Name ist in ein Buch geschrieben und alles muß pünktlich erfüllet werden, was Gott für mich vorausgedacht hat. Welch ein Trost liegt da für uns! Wir sind nicht ein verlorener Haufen, wir sind nicht ein verlorenes Tröpflein im Völker- und Weltmeer, sondern unser Leben verläuft nach großen und ehernen Gesetzen, aber diese Gesetze sind die, die Gott diktiert, er lässt mich nach seinem Liebesplan wandeln und laufen, und seine Hand ist über mir. Nun fährt der Beter fort: "Wie so köstlich sind vor mir Deine Gedanken! Es sind Gedanken des Friedens und nicht des Leides, soviel der Himmel höher ist als die Erde, sind seine Gedanken von Wert. Hinter ihnen steht das ganze Geheimnis unsres Gottes. Wie ist ihrer eine so große Summe! Sollte ich sie alle zählen, so würden ihrer mehr sein als des Sandes"

Wenn wir heute verwirrt darüber nachdenken, wohin es denn nun hinaus soll mit dem Leben unseres Volkes, mit dem Leben des Abendlandes und innerhalb dieses großen Leides mit unserem Leben, und wenn wir eigentlich nicht ein und aus wissen, dann sollen wir daran denken, dass dahinter Gottes köstliche, das heißt Gottes schwere und gewichtige Gedanken stehen, die wir so wenig begreifen, wie ein ganz kleines Kind, das eben zum Denken erwacht, die Gedanken und Pläne seiner Eltern verstehen kann. So stehen wir unter den Gedanken Gottes und das soll uns wirklich trösten.

Wir sind ja nun wie die Kinder geworden, die diese Gedanken Gottes nicht mehr erkennen können und die, auch wenn sie ein Stück weit erkennen würden, gar nicht mehr die Möglichkeit haben, etwas zu tun, um hier dem Gedanken Gottes zu widersprechen oder ihm einen Vorschlag zu machen. Wir wissen weder aus noch ein. Da sollen wir wissen, das sind die Gedanken dessen, der mein Leben in seinen Händen hält, der mein Leben auf seinem Plan verzeichnet hat und nun ausführt. "Wie köstlich sind , Gott, deine Gedanken, wie ist ihrer eine so große Summe!" Der Beter, der überwältigt ist, der plötzlich inne wird, dass die Gedanken Gottes unendlich tief und groß sind, sagt, wenn ich einschlafe, so sinne ich über diese Gedanken nach, dass ich tatsächlich umfangen bin von Liebesgedanken Gottes; wenn ich aufwache, bin ich noch immer bei Dir, bin ich noch immer beim Bedenken des Liebesgeheimnisses unsres Gottes. Und nun wo er sich hineinstellt in die Betrachtung der Größe und des Geheimnisses Gottes fällt sein Blick auf alles Unrechttun, auf die Gottlosigkeit und Bosheit auf dieser Erde und er empfindet die Disharmonie, wie nun diese Schöpfung gestört ist, da die Bosheit und Gottlosigkeit wider Gott ihr Haupt erhebt. Da kann in dem Beter nur der Wunsch kommen, dass diese Gottlosigkeit doch aufhören möchte, und dass tatsächlich bald ein Zustand kommt, da man Gott ohne alles Widerstreben dient, sich in seine großen und schweren Gedanken birgt und wo man all' seinen Willen in Übereinstimmung und Gleichmaß mit dem Willen Gottes bringt. So sind die vier letzten Verse Verse des Gebetes, dass die Gottlosen vertilgt werden möchten, dass die Bosheit auf Erden ein Ende hat, damit die Erde wirklich eine Stätte der Verherrlichung Gottes werde.

Und nun haben wir nach Vers 22 den Doppelpunkt zu setzen. Wenn wir diesen Weg beschritten haben, wenn wir vor dem Geheimnis Gottes stehend inne geworden sind, dass Gott alles durchdringt, dass wir ihm ein aufgedecktes Buch sind, dass wir aber im Gegenteil Gottes Geheimnis nicht erkennen können, dass es wohl einen Gott, einen Weg von Gott zu uns gibt, in seiner Liebe in Christus, aber keinen Weg von uns zu Gott. Dann, wenn wir innegeworden sind, dass es gut ist, dass wir einen solchen Gott haben und dass er bei uns ist, uns von allen Seiten umgibt, dass wir vor ihm aufgedeckt sind, dann kann das Ergebnis dieser Betrachtung nur das Gebet sein: "Erforsche mich Gott, und erfahre mein Herz, prüfe mich und erfahre wie ich's meine und siehe, ob ich auf bösem Wege bin und leite mich auf ewigem Wege!" Dann können wir wirklich wünschen, dass Gott uns das gute Geheimnis unsres Lebens uns wirklich durchdringen, erforschen und prüfen möge; denn von Gott geprüft sein heißt ja von den ewigen Augen der Liebe angeschaut sein. Das heißt dann nicht mehr dem Urteil der Menschen verfallen, sondern von Gott angesehen, gewogen sein, gerichtet und begnadigt sein, und das ist es, was uns frei und unabhängig macht. Das ist es ja, was uns dann erst die Möglichkeit gibt, von unsrem bösen, unserem eigenen, selbstgewählten Weg zu lassen und voll Entschiedenheit auf den Weg Gottes zu treten. Dieser Weg Gottes also unser Denken, Tun und Lassen im Blick auf seine ewigen Augen rechnet mit dem ewigen Geheimnis seiner Liebe. Das ist dann unser Weg; ein guter, ein rechter, ein ewiger Weg, ein Weg, der uns aus den Bezirken des Todes herausführt in die Bezirke Gottes, der das ewige Leben ist. Der Tod ist der Sünde Sold, aber die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christo Jesu, unsrem Herrn. "Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz, prüfe mich und erfahre, wie ich's meine, und siehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege!"

Amen.

Gebet: Wir danken Dir, ewiger, heiliger, dreieiniger Gott, dass Dein Geheimnis über unserem Leben steht. Wir danken Dir, dass Du, wo wir sind, wo wir sitzen und stehen, wo wir schlafen und liegen, bei uns bist und uns in Deinen Frieden birgst. Wir danken Dir, dass Du alle unsere Gedanken erkennst und dass Dein Liebesplan über unsrem Leben waltet. Wir bitten Dich, Du wollest unsre Herzen und Sinne erheben zu Dir, der Du die Quelle alles Lebens bist, und wollest unsre Herzen stille machen in der Anbetung Deiner unbegreiflichen Wege und unerforschlichen Gerichte. Wir bitten dich für Kirche, Volk und Vaterland. Wir bitten Dich für den undurchdringlichen und dunklen Weg unsres Volkes. Gib, dass wir uns alle wieder zu Deinem Wort kehren und stille werden in der Anbetung Deiner Gerechtigkeit, Deiner Güte und Liebe! Wir bitten Dich, nimm in Deinen Frieden und erhalte in Deinem Frieden unsre Angehörigen, alle die, um die wir uns sorgen und die sich um uns sorgen! Wir bitten, erhalte in Deinem Frieden alle unsere Kameraden hier im Lager, auch die, die ihre eigenen Wege gehen und ihre eigene Gerechtigkeit suchen. Wir bitten Dich, erhalte in Deinem Frieden alle. Kranken, alle Sterbenden, alle Verwundeten, alle Krüppel, alle Verzweifelten. Wir bitten dich, erhalte in Deinem Frieden auch unsern Kameraden H. Wir danken dir, dass Du ihn uns zum Kameraden und Bruder gemacht hast, dass Du seine Füße geleitet hast auf den Weg des Friedens, und bitten Dich, schenke ihm und den Seinen im Aufblick auf Dein Liebesgeheimnis die Gewissheit, dass Du Wege des Friedens und nicht des Leides mit uns gehst und dass Du über unsrer Hütte stehst als das gute Geheimnis unsres Lebens.

Bereite uns alle zu der Erkenntnis und zu dem Dank, dass Du uns wunderbar gemacht hast zum Lobpreis Deiner herrlichen Gnade und Wahrheit. So führe uns auch an diesem Tage, gib, dass wir in Deinem Licht auch heute wandeln und gib, dass wir Deiner Allgegenwart und Deiner Allwissenheit uns in allem, was wir sind, was wir tun und denken, getrösten können! Herr, wir warten auf Dein Heil, lass uns nicht zuschanden werden. Amen.

* Quellen:

  • E-Mail von Bettina Rott, Neckargemünd, an Moosburg Online, April 2004.

    Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von © Bettina Rott.

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