Internierungslager: Zeitzeugen |
Wilhelm Rott
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von © Bettina Rott. |
Die Lagergemeinde im Internierungslager Moosburg 1945/1946Dokumentation des Lagerpfarrers Wilhelm RottMoosburg 1945/46Der äußere RahmenAm 22.6.45 wurde ich in das Civil Internment Camp 6 Moosburg (Obb.) eingeliefert. Ich war als Soldat in Griechenland zum Ic-Dienst kommandiert worden, und das war der Anlaß, dass man mich vom Militärentlassungslager aus „für etwa 3 Tage“ nach Moosburg verbrachte, wo mein fall bald geklärt sein würde. Aus diesen drei Tagen ist fast ein volles Jahr geworden. Zwar hat sich die Moosburger CIC seit August meines „außerordentlichen“ Falls wohlwollend angenommen, aber die baldigst in Aussicht gestellte Entlassung auch nicht erreichen können. Mein „Fall“ war sicher besonders krass, aber doch keineswegs singulär. Im Lager befand sich ein guter Prozentsatz Nicht-P.g.s, auch solche, die unter der NS-Herrschaft Schweres erlitten hatten. In den ersten Monaten waren die Verhältnisse im Lager überaus schwierig. Die Unterbringung war äußerst primitiv, es fehlten Stroh und Decken, die Ernährung war gänzlich unzureichend. Sehr bald stellten sich bedenkliche Hunger –Ausfallserscheinungen ein. Im August haben die Lagerpfarrer beider Konfessionen diese Not in einer Eingabe zur Sprache gebracht, unterstützt durch das Gutachten eines internierten Münchner Internisten (Prof. Schittenhelm). Leider sind seine und der Pfarrer Versuche, Schwerstkranke rechtzeitig verlegen zu lassen (Arzneimittel, Operation) 1945 nicht von Erfolg gewesen. Besonders hart war das Lager für Amputierte (und Doppelamputierte), für die über 70 Jährigen und für die werdenden Mütter, wenn man sich im Laufe der Zeit auch sehr um diese Kategorien bemühte. Im September setzte eine merkliche Besserung der Nahrung ein, auch sonst wurden von da ab die Verhältnisse erträglicher. Hart blieb die hermetische Abschließung von der Außenwelt, erst vor Weihnachten durften Pakete und Briefe in das Lager geschickt werden, die Post aus dem Lager blieb auf drei etwa 10-zeilige Karten ab 1946 beschränkt. Gerade das ergab für Wehrmachtsangehörige aus dem Osten eine verzweifelte Situation. Innerhalb des Stacheldrahtes, bzw. der Blockgrenzen, hatten war viel Freiheit. Das Lager hatte Selbstverwaltung (Bürgermeisterei), die jedoch in der ersten Zeit nicht ohne üble Korruptionserscheinungen blieb. – das überaus günstige Wetter ist wohl der Hauptgrund, dass der Gesundheitszustand relativ gut blieb, Seuchen und das befürchtete Massensterben im Winter blieben Gott sein Dank aus. Das Lager war durchschnittlich von 10- 12 000 Internierten jeden Alters (16-80) belegt. Darunter 3-400 Frauen in einem besonderen Frauenblock. Der allergrößte Teil befand sich in automatic arrest, weinige in Sicherheitsverwahrung (Denunziation). Die Hauptkategorien: Parteifunktionäre aus ganz Bayern von der Orts- bis zur Reichsebene. Generäle (37) und Generalstäbler. Alle höheren Beamten, gleichgültig, gleichgültig ob P.g., oder nicht. (Der „Rats“-Titel als Fallstrick bei der Militärentlassung!). Kleinere Gruppen der Wehrmacht, wie Nachrichten, Abwehr, GFP, Gestapo und SS. Also zur guten Hälfte süddeutsche Pg.s, sonst gesamtdeutsche Militärs, Beamte, Akademiker. - Das Lager bestand aus 10 Blocks zu 2 bis 7 Baracken. Die Blocke waren mehr oder weniger streng voneinander getrennt. Eine „Umschulung“ oder derartiges ist von Amerikanern nie versucht worden. Nach einigen Wochen erhielt das Lager Rundfunklautsprecher. Zeitungen kamen erst ab Herbst von draußen herein. Im ersten halben Jahr war jedes Stück bedrucktes Papier äußerst begehrt. Nachdem man sich von der ersten Betäubung erholt hatte, wurde der geistige Hunger sehr groß. (Das kam natürlich auch der kirchlichen Arbeit zugute!) Überflüssig zu sagen , dass auch in recht erheblicher Teil der Belegschaft indolent blieb und sich jeder geistigen und geistlichen Beeinflussung unzugänglich zeigte. – Aufs Ganze gesehen entwickelte sich schon in den ersten Monaten eins ehr reges kulturelles Leben in Moosburg, Sprachkurse, Arbeitsgemeinschaften und Vorträge aller Art, z.T. von beträchtlicher Höhenlage. Es gab kaum ein Gebiet, das nicht behandelt worden wäre, von der Ägyptologie bis zur Graphologie und Weizenzucht. Die zahlreichen Universitätsdozenten waren ab Herbst in der „Moosburger Akademie“ organisiert, welche geschlossene Sitzungen abhielt und Sonntagnachmittags mit einem Vortrag für einen etwas weiteren Kreis diente. Intendant Dr. Meißner rief eine Bühne ins Leben, die über 50 mal den „Urfaust“, dann „Kabale und Liebe“ und „Was Ihr wollt“ spielte. Die leichte bayrische Muse fehlte aber auch nicht, so gab es auch ein „Moosburger Platzerl“. Die dramaturgisch begabten Humanisten des „Kulturblocks“ 6 stellten Platons Phaidon auf die Bretter, der gleiche Kreis bot uns auch „König Ödipus“, (die Hauptrolle hatte unser Presbyter Wolff). – Es konnte nicht ausbleiben, dass viele Dozenten sich im Laufe des Jahres verausgabten (da ja alle Hilfsmittel fehlten). Und doch wies auch nach einem Jahr intensiver Unterrichts – und Vortragsarbeit das Lager noch eine stattliche Zahl an Lagergrößen auf, die einen großen Zuhörerkreis um sich scharten. Ich nenne aus diesem Kreis den Psychologen Dolch, den Germanisten Edler, den Kunsthistoriker Schmaltz, den Historiker Weigel, den Ägyptologen Hermann, den Psychiater Schneider (diese alle von christlichen Voraussetzungen aus denkend, die meisten aktive Mitglieder der Lagergemeinde!) Nichtchristlicher Geister von großem Einfluß war von Vacano (Archäologe und antiker Historiker) und der „Lagerdichter“ Böhme. Im Sinne einer geistigen und politischen Entnazifizierung wirkten u.a. Ministerialrat Dr. Meyer mit seinen Vorträgen über staats- und völkerrechtliche Fragen und die Politik der Weimarer Zeit. Die Vorträge und kulturellen Veranstaltungen (auch viel Kammermusik, sowie Männerchöre) wurden in künstlerisch hochwertiger Plakatgestaltung angezeigt. Das war der geistige rahmn, in dem die kirchlich Arbeit stand. In einem Sinne war die fülle des geistig Gebotenen der kirchlichen Arbeit abträglich, auf’s Ganze gesehen aber doch wohl nützlich. Die christliche Haltung wurde vielen Entfremdeten in der christlichen Grundhaltung gerade der großen Könner deutlich, und die Beziehungen zwischen Evangelium und Kultur sind vielen zum erstenmal klar geworden. Auch war die Lagergemeinde gezwungen, sich immer wieder mit der geistigen Lage der Gegenwart auseinanderzusetzen, und auf der anderen Seite das spezifisch Kirchliche und Verkündigungsgemäße mitten in dem Geistig-kulturellen herauszustellen. Zu erwähnen sind noch die verschiedenen Kunstausstellungen, die von der großen handwerklichen und künstlerischen Begabung der Internierten Zeugnis gab. Aus Büchsenblech sind fast ohne jedes Handwerkszeug die köstlichen Dinge, Schmuck- und Gebrauchsgegenstände hergestellt worden! Beginn der kirchlichen ArbeitAls wir nach der „Durchschleusung im Lager eintrafen, hörte man von den bereits laufenden kath. und evang. Gottesdiensten. Den katholischen Gottesdienst hielt ein Militäroberpfarrer (Prof. Bross, aufgrund einer länger zurück liegenden Religionslehrertätigkeit als „höherer Beamter“ inhaftiert, den evangelischen ein bayrischer 70 jähriger Pfarrer, als Ortspropagandleiter verhaftet. Prof. Bross blieb bis herbst im Lager und hat hingebungsvoll in betont röm.-kath. Zielsetzung gearbeitet. Er wurde abgelöst durch einen hochbegabten Benediktinerpater aus Österreich, dieser, ein Demagoge großen Stils, wurde unterstützt durch zwei slowakische Prälaten, die täglich Messe lasen und viel Beichte hörten.- Der alte Pfarrer B. trat mir bald die Geschäftsführung des evang. Lagerpfarramtes ab, hielt aber bis zu seiner vorübergehenden Entlassung alle 14 Tage noch einen Sonntagsgottesdienst ab. Ab Oktober half ein Münchner Religionslehrer, Pfarrer Schneider, bei den Gottesdiensten und in der Seelsorge. Die Katholiken hatten zweifelsohne einen besseren Start, der Eindruck von der macht und Zielsicherheit der röm.-kath. Kirche mitten im Zusammenbruch des deutschen Volkes war anfänglich sehr wirksam. Ebenso groß war die innere Unsicherheit der protestantischen Bildungsschicht, zumal man von einer evangelischen Kirche in Deutschland nichts wusste und hörte. Manche ev. Akademiker spielten mit dm Gedanken der Konversion, teils aus una-sancta, teils einfach aus politischen Gründen. So waren wir Evangelischen auf’s Stärkste herausgefordert. Es war klar: mit einer herkömmlichen seelsorgerlichen Betreuung ging es nicht. – schon angesichts des unverhüllten Werbens der katholischen Seite. Die äusserlich und innerlich ernste Lage forderte ein intensives gottesdienstliches Leben, eine volksmissionarische Lehrtätigkeit und den Aufbau einer Lagergemeinde als einer evangelischen Bruderschaft der Not und der Hoffnung. Davon sei im folgenden die Rede. Das gottesdienstliche LebenDie Sonntagsgottesdienste fanden, nach Blockgruppen getrennt, am Samstag und Sonntag statt (zweimal zwei Gottesdienste), in den Sommermonaten leider in der ungünstigen Mittagszeit nach den kath. Morgenmessen (Es stand anfangs nur eine Kirchenbaracke zur Verfügung). Dazu kamen Gottesdienste im Lazarett, im Frauenblock und in der Strafbaracke. Es gab also insgesamt 7 Sonntagsgottesdienste. Ausser einem ungeschmückten Behelfsaltar und ein paar Feldgesangsbüchern, sowie einem deutschen NT des Pfarrers fehlten alle Hilfsmittel für den Gottesdienst. Wir hatten gleich eine feste, für alle brauchbare Form bestimmt: Lied – Introitus mit Gloria patri in der alten Form - Eingangsgebet (Dank, Sündenbekenntnis und Kollekte kombiniert) – Schriftlesung - Gemeinsames Apostolikum – Predigtlied - Predigt – Liedvers - Fürbittenschlussgebet mit gemeinsamem Vaterunser - Segen. Nach Eintreffen der bayrischen Auszugsgesangbücher haben wir uns auf die dort abgedruckte bayrische Form geeinigt. Ab Advent trug ein evangelischer Kirchenchor wesentlich zur Ausgestaltung unserer Gottesdienste bei (Leitung Ministerial Dirigent Dr. Schattenmann, dann Chormeister Christian Ströse), er belebte das immer erfreuliche Gemeindesingen und gewann alte liturgische Stücke für die ganze Gemeinde zurück.. In der Predigt wurden meist die altkirchlichen Evangelien und Epistel ausgelegt. Für fast alle Zuhörer war die Form der strengen Textauslegung neuartig, sie löste aber allgemein intensive Gespräche und viel geistiges Mittun aus und forderte zwangsläufig eine Ergänzung und Unterbauung durch „Vorträge über Glaubenslehre“. (Predigten und Vorträge wurden mitstenografiert). Gerade die streng kirchliche Form und Haltung der Gottesdienste hat sich volksmissionarisch positiv ausgewirkt. Es trat –nach vieler Urteil- gleich von Anfang an die bekennende Kirche in Erscheinung, ein Wagnis auf Hoffnung. – Durch die Sonntagsgottesdienste sind durchschnittlich 1000 Männer erfasst worden (bei etwa 3-4000 Männern evang. Herkunft). Die werktäglichen Gottesdienste fanden ohne jede Unterbrechung ein Jahr lang hindurch täglich statt, zunächst in der einen Kirchenbaracke, dann 2 und 3 mal täglich in den verschiedenen Kirchenbaracken. Auch sie hatten eine bestimmte Form, zuletzt die folgende: Lied – Luthers Morgensegen gemeinsam – Schriftlesung (Psalmgebet) – Gemeinsamer Wochenspruch - - Lied – Bibellese und Auslegung – Liedvers – Schlussgebet mit gemeinsamen Vaterunser – Segen – Ausgangsvers. Wir haben mit der Auslegung der Apostelgeschichte begonnen und uns später an die Bibellese der Verbände gehalten. So sind wir schon durch die Morgengottesdeinste durch einen grossen Teil der Bibel geführt worden. - Zu den Morgengottesdiensten versammelte sich die Kerngemeinde, 100-150. Sie wurde als Verantwortungsträgerin für die ganze Gemeinde angesprochen und geschult.- Auch Katholiken nahmen an allen Gottesdiensten (um der „Bibelinterpretation“ willen) regelmässig teil. Das heilige Abendmahl wurde nach etwa 4 Wochen zum ersten Mal auf Bitten einiger Kameraden im kleinen Kreis zur Abendstunde gefeiert. Einer machte aus schlechtem Blech eine Patene, von den Katholiken erhielten wir einen halben Feldbecher Messwein., in den das mitgebrachte schwarze Brot getaucht wurde. Es war die Hungerzeit und das mitgebrachte Brot war schon ein wirkliches Opfer. Ein Tagebuchbericht eines bayrischen Kameraden über dieses unser erstes Abendmahl, in den ich Einsicht nehmen durfte, gehört zu den bewegendsten Dokumenten des Moosburger Lagergemeindelebens. Dass Christus als das Brot des Lebens sich auch unseres leiblichen Hungers annimmt, ist von vielen geglaubt und erfahren worden. – Auch für die Abendmahlsfeiern haben wir später die in bayern übliche Liturgie übernommen. Die allgemeine Beichte geschah zwischen Abendmahlspredigt und Präfation. Sie wurde eingeleitet durch „Schaffe in mir Gott…“ . Nach der Absolution wurde gesungen: „Darum auf Gott will hoffen ich“. Das heilige Abendmahl ist in jeder Woche mindestens einmal gefeiert worden. Es stand ganz stark im Mittelpunkt der Gespräche und Unterweisung. Die Vielfalt des Abendmahlbezugs ist in Moosburg stark erlebt worden. Dass die Predigt zum Abendmahl drängt, dass das Abendmahl die Predigt besser verstehen lehrt, dass alles ist weithin erfasst worden. Auch ist jedes Stück der Abendmahlsliturgie Gegenstand der Erklärung und der Betrachtung gewesen. So nahm die Freudigkeit zum A. immer mehr zu, bei der oft quälenden Abgeschiedenheit war der Communio – Gedanke tröstlich, schmerzliche oder freudige Ereignisse drängten zum Tisch des Herrn, auch die Trauerfeiern schlossen mit dem Abendmahlsgang. – Zuerst war der Mittwochmorgengottesdienst unser fester Abendmahlsgottesdienst. Späterhin gingen wir auf die Abendgottesdienste, was sich am besten bewährt hat. – Häufig wurde das A. in die grossen Sonntagsgottesdienste einbezogen. In einem gewissen Zeitabschnitt war einer der Sonntagsgottesdienste grundsätzlich ein Predigt- und Abendmahlsgottesdienst. Aus mancherlei äusseren Gründen sind wir von dieser Praxis abgegangen. Doch wurde bis zuletzt Wert darauf gelegt, dass das gute Zeichen eines vollständigen Predigt- und Abendmahlsgottesdienstes auch vor der weiteren Gemeinde aufgerichtet blieb. Die Lehrarbeit1. Zunächst ist von der Bibelarbeit in ihren verschiedenen Formen zu berichten. Die einzelnen Blocks waren in den ersten Monaten (und später immer wieder für einige Zeit) streng getrennt. Das bestimmte gerade auch unsere Arbeitsformen auf dem Gebiet er Bibelarbeit. Zeitweise fand nach jedem Morgengottesdienst eine Stunde Bibelarbeit statt. Im Block 4/5 begann es. Ein Studienrat bat mich nach dem ersten Gottesdienst, einem von ihm gesammelten Kreis, der sich im Freien traf, zu besuchen. Daraus entwickelte sich für diesen Doppelblock eine Bibelbesprechung, die an zwei bis drei Stunden im Freien oder in einer leer stehenden Baracke mit 30 bis 50 Mann durchgeführt wurde (Abschiedsreden, Philipperbrief). Im „Kulturblock“ 6 sammelte Dr. v. Eickstedt einen Akademikerkreis zur Bibelarbeit an der Bergpredigt. Nach einer kurzen Einleitung durch den Pfarrer, entspann sich ein lebhaftes, oft hitziges Gespräch der Fakultäten über die Wege praktischer Verwirklichung gemäß Barmen 2 am Leitfaden eines echten reformatorischen Verständnisses der Bergpredigt. Es ist mir in lebhafter Erinnerung, wie ein junger Richter (stark wirksam im Lager durch seine kunsthistorischen Vorträge) an Hand vieler Beispiel berichtete, dass er gerade im Hören auf die Bergpredigt sein Amt ausgerichtet habe. – Als aber auch die anderen Blocks ihre Bibelarbeit haben wollten, wurde das Zeitproblem für den Pfarrer brennend. Ein erster Versuch, einen Laien mit der Leitung einer Bibelbesprechung in einer bestimmten Blockgruppe zu betrauen, gelang nicht recht. So war es gut, dass bald die Auflockerung der Blockgrenzen diese Schwierigkeiten beseitigte. Block 6 führte weiterhin ein gesondertes kirchliches leben. Die übrigen Blocks konnten ab Herbst aber eine meist gemeinsame Bibelarbeit durchführen. In einer Übergangszeit tagten die Blocks 4,5, und 8 gemeinsam unter der Leitung unseres Seniors Dr. v. Burgsdorff, der jeden Freitag dem visitierenden Pfarrer einen ausgezeichneten Bericht über die Arbeit der Woche erstattete. Unsere Bibelarbeit war Bibelbesprechung, hielt also gemeinhin die Mitte zwischen den Arbeitsformen der Bibelstunde und des Bibelkreises. (Letzteres war schon durch die große Teilnehmerzahl unmöglich, eine Bibelstunde wäre nur Doublette zur Predigt gewesen.) Zusammen mit den anderen Auslegungen sind fast alle Bücher des NT durchgenommen worden. Unsere Bibelarbeit drängte ab Advent zu einer mehr vortragsmäßigen Ergänzung und Abrundung in Form von Bibelwochen. Es handelte sich um Einleitungsvorträge in schwierige Bücher der Bibel teils in Anschluss, teils im Rahmen unserer Morgengottesdienste. Durch gute Plakate wurde dazu wie zu allen besonderen Veranstaltungen eingeladen. Es kamen auch viele, die sonst zur täglichen Bibelarbeit nicht kommen konnten. – Im Spätsommer war bereits eine Bibelwoche über Röm. 9-11 durchgeführt worden. Im Advent wurde in 14 Morgenstunden vor ca 250 – 3000 Männern eine Einführung in das Letzte Buch der Bibel gegeben. Januar / Februar eine Einführung in das Johannesevangelium (14 Tage), März/Apriul eine fortlaufende Auslegung des Römerbriefes (ca 4 Wochen). Dazwischen eine „Einleitung in das NT“ (Verschiedenheit und Einheit der Botschaft des NT“) in 10 Stunden mit besonderem Blick auf die Entstehung der einzelnen Bücher, auf Lehrtypen, Kanonbildung. Gerade die Verbindung einer Einführung in das Ganze eines Buches mit der Auslegung typischer oder schwieriger Einzelstücke hat stark angesprochen und das (nach Eintreffen der NT.s durch Hilfswerk und CVJM) eifrige Bibel lesen befruchtet. Man darf wohl sagen, dass diese Bibelwochen Höhepunkte sowohl der volksmissionarischen als auch der innergemeindlichen Arbeit waren. 2. Das entscheidende volksmissionarische Handeln der Lagergemeinde waren –zumindest im ersten halben Jahr- die „Vorträge über evang. Glaubenslehre“. Sie sollten die Fernstehenden rufen und sie zum Verstehen der Predigt und des Wortes Gottes anleiten und die Christen in ihren Glaubensleben befestigen. In der Tat haben diese Vorträge anfangs auch viele erfasst, die sich zur Teilnahme am Gottesdienst noch nicht entschließen konnten. Ab Herbst deckte sich die Hörerschar mit der Zahl der Gottesdienstbesucher und im neuen Jahr waren die Vorträge wohl nur noch innergemeindlicher Unterricht. – Anfangs mussten die Vorträge noch viermal wöchentlich gehalten werden, ganz zuletzt konnten wir (von Lazarett und Frauen abgesehen) auf einen Vortrag konzentrieren. Die Vorträge haben ohne jede Unterbrechung mit wöchentlichem Themenwechsel das ganze Jahr über gedauert, sie zeigen in der Themenfolge in etwa den inneren Weg unserer Gemeinde an. Die ersten Vorträge und dann wieder die über die Reformation sind vor ca 1200 Männern gehalten worden. Die Themen sind immer auf Grund von Gesprächen mit innerlich beteiligten Männern gewählt worden, oft genug in Durchkreuzung der ursprünglichen Absichten des Pfarrers. Wir begannen in der Woche nach dem ersten Gottesdienst mit: „Natürlicher Gottesglaube und christlicher Gottesglaube“ und stachen damit in ein Wespennest. Es gab begeisterte Zustimmung, aber auch viel Ablehnung („Orthodoxie“ – „Intoleranz“ – „Kirchlicher Hochmut““ – „Kirche als Kriegsgewinnlerin“ !) Um die Fronten noch deutlicher abzuzeichnen, wurde als zweites Thema erbeten: „Sünde und Erbsünde“. Bei öffentlicher Ankündigung bei den Appellen belustigtes oder verärgertes Rumoren! Dieser und der nächste Vortrag „Auferstehungsglaube“ hat zu der notwendigen Auseinandersetzung mit der (nur teilweise im gottgläubigen Gewande einhergehenden) liberalen Bildungsschicht geführt. Wie unbekannt ist doch das biblisch – reformatorische Verständnis von Sünde usw.! – Nun aber meldete sich auch das Bedürfnis nach etwas „Praktischem“ zum Aufbau des Lebens in den weltlichen Ordnungen. Wir kamen dem zunächst entgegen durch 3 Vorträge über der „Christenmensch in Haus und Beruf“. Diese Vorträge haben von allen die größte Breitenwirkung gehabt, sprachen sie doch das Elementarste in der Seele der Internierten und des Heimkehrers an. Sie begannen mit der Wahl der Frau und der Vorbereitung auf die Ehe, sprachen vom Tisch als dem Mittelpunkt des Hauses, von Altersstufen und Kindererziehung, der Rolle der Eltern in der Unterweisung der Kinder und endeten mit der reformatorischen Sicht und Wertung des Berufs in einer chaotischen Welt. Nach vielen Monaten wurde man gerade auf diese Vorträge angesprochen, und selbst Gottgläubige haben sich die angegebenen Kindergebete aufschreiben lassen. – Es folgten 3 Vorträge über „Die Bibel und der moderne Mensch“. Nach den ersten Monaten intensiver Schriftauslegung war es nötig,, einmal über die Bibel als Gesamtorganismus zu sprechen, die Zweinaturenlehre auf die Schrift anzuwenden und die wichtigsten Themen und Begriffe herauszuarbeiten, z.B. auch: Offenbarung, Mythos, Legende. – Im September kam eine Reihe über „Gemeindeaufbau“ (Predigt, Sakrament, Konfirmation, Kirchenzucht). Anfang Oktober bis zum Ende des Kirchenjahres wurde das Thema „Reformation“ historisch und in seiner Gegenwartsbedeutung behandelt (als Zurüstung für das Reformationsfest und die Lutherfeier im Februar). Diese Reihe mündete aus in einer Kirchenkunde Europas und eine Einführung in die oekumenische Bewegung. – Vor und nach Weihnachten wurde das „Wunder der Weihnacht“ dogmatisch erörtert und dann ein neuer Zyklus in Angriff genommen: „Christliche Sozialethik im Spiegel der zehn Gebote“. (u.a. Kirche als soziologische Größe, Bedeutung des Sonntags, Kirche und Staat, Familie und Ehe, Eigentum und Wirtschaft, Problem eines christlichen Sozialismus, Parteien, Presse, Jugendverbände). Diese Reihe führte zur Konstituierung einer sozialethischen Arbeitsgemeinschaft. – Nach Ostern kam: „Liturgia Sacra. Von der Schönhit des Gottesdienstes“. Von der folgenden Reihe „Credo“ konnte nur noch der 1. Artikel behandelt werden („Moderne Weltanschauung und christlicher Schöpfungsglaube“) 3. Von den außerordentlichen Veranstaltungen zur Christenlehre mag das Folgende erwähnt werden: a) Eine Vortragsreihe über den Kirchenkampf, verbunden mit einer Besprechung der Barmer theologischen Erklärung im Sommer vor einem besonders geladenen Kreis von 1000 Männern. b) Eine religionspädagogische Arbeitsgemeinschaft für Religionslehrer, katechetische Helfer und katechetisch Interessierte. Es wurden u.a. behandelt: Der kirchliche Katechumet (Einheit und Zweige des kirchlichen Unterrichts), Religionsunterricht als „Kirche in der Schule“, die geistige Lage des Volkschullehrers, Pfarrer und Lehrer, von der Exegese zur Katechese, Katechismusunterricht, einschlägige theologische und katechetische Literatur. Zeit Juli/August. c) Eine sog. „Methodische Schulung“ für den Laiendienst am Wort, ab Januar in etwa 10 Stunden. Hier wurden nach vorheriger Anleitung geistliche Ansprachen und Predigten angefertigt, vorgetragen und kritisch besprochen. Dieses homiletische Laienseminar war gedacht als Zurüstung für die zu erwartende pfarrerlose Zeit und für die Laiendienste draußen in Haus und Gemeinde. Fünf Kameraden aus diesem Kurs, die nach der Entlassung des Pfarrers die Morgendienste halten sollten, haben bereits vorher probeweise Morgenandachten gehalten. d) Die Arbeitsgemeinschaft für christliche Sozialethik entstand im Februar in Zusammenarbeit mit den Glaubenslehrvorträgen unter Leitung von Ministerialrat Wolff, einem Glied der Dahlemer Bekenntnisgemeinde. Hier ist ein Stück ernster wissenschaftlicher Arbeit geleistet worden, für die den Referenten und dem unermüdlichen Leiter unser Dank gebührt. Ein fester Kreis, ausschließlich Akademiker: Juristen, Nationalökonomen, Wirtschaftsleute, Verwaltungsbeamte, Journalisten versammelte sich jeden Montag. Von Fachleuten wurden Referate gehalten, die dann in mehreren Sitzungen gründlich besprochen wurden. Das Ergebnis liegt in den Protokollen vor, welche den Kirchenleitungen in Stuttgart und München zugingen. Es wurden behandelt: Der Ständestaat (Dr. v. Eickstedt), Neubau der Wirtschaft (Dr. Bergengruen), Presse (Dr. Malbeck) und Erziehung und Schulwesen (Minist. Dirigent Dr. Frank). Da sich im neuen Jahr die Glaubensvorträge mehr und mehr auf die Glieder der eigentlichen Gemeinde beschränkten, musste versucht werden, immer wieder auch zu den Randexistenzen vor zu stoßen. Dies wurde z.T. erreicht durch besondere Veranstaltungen in kulturellem Gewande, oft eingerahmt durch Chorgesang und Kammermusik. Es sei erwähnt: a) Feier zum Gedächtnis des 400. Todestages Martin Luthers. Vortrag: „Luthers Vermächtnis“. b) Gemeindenachmittag: „Evang. Kirche im Deutschen Osten“ (3 Berichte) c) „Die Passion in der deutschen Kunst“ (mehrmals wiederholt) d) „Der Tod Jesu“ am Karfreitagsabend e) „Kirche in Deutschland und in der Oekumene“ f) „7 Forderungen der ev. Kirche“ (angeregt durch Berliner Kirchentag). Abschließend sind zwei Arbeitsformen zu nennen, die sich erst in den letzten Monaten herausbildeten: a) Eine sog. Kirchstunde (kirchlicher Nachrichtendienst am Freitagabend. Vorbild war der Lagebericht der Bekenntnisgemeinden. So wurden die unregelmäßig ins Lager dringenden Nachrichten (Kirche und Kultur) zusammengefasst und ausgewertet (Dr. Malbeck). Der Pfarrer rundete ab und behandelte eine kirchl. aktuelle Frage vom Grundsätzlichen her. b) Der sog. „Konfirmandenunterricht“ war die abschließende Unterweisung der Wiedereintretenden. Aufgrund der bescheinigten Teilnahme am Gemeindeleben während eines halben Jahres wurden die Anmeldungen zum Schlussunterricht entgegen genommen, der etwa 12 Stunden umfasste. Außerdem war die Teilnahme an der Glaubenslehre jetzt Pflicht. Zwischen Ostern und Pfingsten hatten wir 70 Konfirmanden. Es wurden Lehrgespräche geführt unter dem Gesichtspunkt: „Was erwartet die Kirche von einem Mann heute?“ und „Was muß der Mann vom Wort Gottes und der Kirche unbedingt wissen?“ So standen im Mittelpunkt die biblische Heilsgeschichte und die Zehn Gebote in ihrer Gegenwartsbedeutung. Über die Gegenwart der Konfirmanden wurde Buch geführt, ein weiterer Kreis von Zuhörern durfte teilnehmen. Während dieser Vorbereitungszeit fand mindestens ein Gespräch mit dem Pfarrer statt, auch wurde Literatur vermittelt. Es ist selbstverständlich, dass gerade auch hier der Ton ein kameradschaftlich – offener war, die „Konfirmanden“ sollten merken, dass die Kirche sich selbst ernst nimmt, sich aber von Herzen freut, wenn Männer aus der Entfremdung zur Kirche wieder zur Mitarbeit zurückfinden. Die Lagergemeinde„Das Wort baut die Gemeinde“. Die Wahrheit dieses Satzes haben wir nach beiden Seiten reichlich erfahren. Es ist von der Lagerleitung und von den Katholiken wohl beachtet und verstanden worden, dass wir uns nach wenigen Monaten offiziell und betont „Evangelische Lagergemeinde Moosburg“ nannten. „Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern“. Es begann mit der Gesprächsmission im direkten Anschluss an die Verkündigung des Wortes. Die ersten langen Sommertage waren ausgefüllt mit ernsten Gesprächen zunächst in Block 3, wo der Pfarrer wohnte. Dann kam der Passagierschein für alle Blocks. Noch kannte man niemand persönlich und war in anderen Blocks darauf angewiesen, bis man angesprochen wurde. Und das geschah dann auch. So wurden dann in den ersten beiden Wochen die Männer heraus gefunden, die vorerst den Dienst eines Blockvertrauensmannes übernahmen. Diese hatten vor allem die Blocks geschlossen zu den kirchlichen Veranstaltungen zu führen und für deren Bekanntgabe zu sorgen, außerdem den Pfarrer bei der Blockleitung zu vertreten. Es ist meist bei den zuerst gewählten Männern geblieben. Wo Gaben und Eifer da waren, sind diese Männer immer zu wahren Presbytern geworden, die ihren Kameraden auch persönlich viel in der schweren Zeit gegeben haben. Nur in wenigen Fällen musste später ein Austausch vorgenommen werden. Es kam bald zu festen Sprechzeiten für die einzelnen Blocks. Der Andrang dazu war namentlich in der ersten Zeit sehr groß. Man kam einfach nicht durch. Man kam nur mit wesentlichen Anliegen. Mir persönlich haben diese Gespräche in der Sommerglut reichlich die fehlenden Bücher ersetzt und geholfen, die Verkündigung konkret zu gestalten. Bis September beschränkte ich die Gemeindeordnung auf das allernotwendigste zur Bewältigung, d.h. vorerst zur technischen Durchführung des Gemeindelebens. Ein Wechsel in der Bürgermeisterei brachte uns einen wirklich verständigen „Kirchenminister“ (Dr. Brack). Unter seiner Ägide konnten wir die Gemeindearbeit und Ordnung ausbauen. Der Pfarrer kam in den Lazarettblock und bekam dadurch den bisher fehlenden Schreibplatz. Es konnte – „mit Nachschlag“- ein Gemeindesekretär bestellt werden zur Regelung aller Externa, eine Kombination von Küster (mit Hilfsküstern für einzelne Kirchebaracken) und Kirchmeister. – Über diesen aus technischen Notwendigkeiten resultierenden Diensten wurde Unterstaatssekretär Dr. von Burgsdorff um Hilfe in der geistlichen Leitung gebeten. Er war ein Mann, den Gott uns geschenkt hatte. Als „Senior“ der Gemeinde hat dieser hohe Beamte und Ritterkreuzträger einen stillen nachhaltigen Einfluss auf uns alle ausgeübt und durch Wort und Beispiel viele für die Gemeinde gewonnen. Er wuchs von seinem Dienst als Lektor und Liturg immer mehr in den eigentlichen Dienst am Wort hinein. Seine Ansprache bei einer der Christvespern und bei anderen Gelegenheiten wird vielen unvergesslich bleiben. Im Februar wurde er gebeten, sich für die Übertragung des öffentlichen Predigtamtes zur Verfügung zu halten. Tags darauf wurde er als Zeuge nach Nürnberg gebracht und von dort aus nach Polen ausgeliefert. Pfarrer Senior und Secretarius bildeten den engsten Kreis der Gemeindeleitung. Dann kam der Rat der Blocksvertrauensleute mit je einem Stellvertreter (überraschende Entlassungen oder Verlegungen!), zu dem später auch der Kantor und Chormeister sowie die Lektoren gehörten.- Es zeigte sich auch in Moosburg, dass ein größerer Mitarbeiterkreis nicht nur Entlastung, sondern auch Schwierigkeiten bringen kann. Bei der großen Autorität, die Pfarrer und Senior zuerkannt wurde, und der nüchtern – solidarischen Grundhaltung des Gemeindekerns konnten solche Schwierigkeiten gut und recht überwunden werden. Dazu kam, dass besonders einer unserer Brüder die Gabe des aletheuein en agape (Wahrhaftigkeit in der Liebe nach Eph. 4,15) hatte. Es gab insgesamt 3 Kameraden, die man nicht herausgestellt hätte, wenn man von Anfang an ihre Schwächen gekannt hätte. Sie sind lange in Geduld getragen worden, dann aber aus der leitenden Mitarbeit ausgeschieden worden. Bei zweien von ihnen handelte es sich um ausgesprochenes Schwärmertum. Fast in jedem Block bildeten sich zwanglos (z.T. landsmanncshaftlich gebundene) Freundeskreise um das Wort Gottes. Eine besondere Hilfe und Stärkung für den Pfarrer war eine wackere Gruppe Süddeutscher in Block 4/5 und eine Gruppe Norddeutscher in Block 6. Abends traf man sich bei Gesprächen um die Dinge des Reiches Gottes, später um bestimmte Bücher und Schriften, man ging vereinsamten Kameraden nach, übte auch liebevoll wahrhaftige censura fratrum in aller Nüchternheit. Wie viel durchdachte Anregungen für die Ausgestaltung der Arbeit sind von diesen Kreisen der Treuen ausgegangen! Die Blicke und Pläne gingen auch nach draußen, in die Zukunft von Kirche und Volk, auf die Fortführung der Moosburger Arbeit draußen, auf Volks- und Buchmission und Freizeiten für Männer usw. Hervorstechend war der Wille zur ganzen einen Kirche, zur Abendmahlsgemeinde und zur Gewinnung der noch Fernstehenden. Unsere Gemeindediakonie hatte vorwiegend hier ihren „Sitz im Leben“. Für die Not der Kameraden aus dem Osten, aber auch der zur SS gepressten Volksdeutschen hat sich die Gemeinde, so gut es ging, einzusetzen versucht. Es waren ja die völlig Abgeschnittenen, natürlich auch die Nicht-Paket-Empfänger. Seit Advent fanden öfters kameradschaftliche Gemeindeabende statt, auf denen sich bisher fremde Kameraden aus den Ostgebieten trafen und kennen lernten, lange bevor die Lagerleitung eine solche Verbindung ermöglichen konnte. Auch als diese zwanglosen Abende später durch thematisch bestimmte und künstlerisch geformte ersetzt wurden, stand auf diesen Abenden die „Kirche im Osten“ stark im Vordergrund. Es ist bekannt geworden, dass nach solchen Abenden Süddeutsche den Ostdeutschen Freundschaft und konkrete Hilfe nach der Entlassung anboten. – Auch ein Suchdienst ist von der Lagergemeinde mit Hilfe der Münchner Inneren Mission betrieben worden. Frauenblock und LazarettDie Seelsorge im Frauenblock (3-400 Insassen) bot besondere Schwierigkeiten innerer und äußerer Art. In den ersten Monaten durfte auch der Pfarrer nur in Begleitung einer amerikanischen Wache das sonst abgeschlossene Blocktor zu festen Gottesdienstzeiten passieren. Sodann war in dem abgeschlossenen Frauenblock die gleichgültige oder gar fanatisch – antichristliche Haltung einer missionarischen Arbeit abträglich. Das „Kirchelaufen“ der Männer ist von den Unentwegten im Frauenblock als Verrat abgetan, oder als Konjunktursache verspottet worden. Dennoch bildete sich eine feste treue Gottesdienstgemeinde von 20-30. Leider konnten die kirchlich aufgeschlossenen Frauen nicht in den Gesamtzug der kirchlichen Aufbauarbeit des Lagers einbezogen werden, vor allem nicht in die Glaubenslehrvorträge. Dafür gab es Bibelstunden im engsten Kreis, meist von Pfr. Schneider gehalten, leider wie die Gottesdienste in einem nicht abgeschlossenen Raum, mit viel äußeren Störungen. An Festen und zu besonderen Veranstaltungen wurde mit viel Mühe die Erlaubnis erwirkt, die Frauen in die großen Gottesdienste zu führen. In den letzten Monaten konnten auch die Frauen regelmäßig am Sonntag in den Lagergottesdienst geführt werden. Um so erfreulicher gestaltete sich die Lazarettseelsorge. In der Baracke D des Lazarettblocks war, zuletzt am Sonntagabend, regelmäßig Gottesdienst. Zeitweise fand in der psychiatrischen Station (Prof. Dr. Schneider) auch ein werktäglicher Gottesdienst statt. Der „kleine“ Lazarettgottesdienst hatte seine besonderen Vorzüge, aber auch seine Schwierigkeiten. Je nach Belegung und Zusammensetzung wechselte sein geistlicher Habitus. Die große tragende gemeinde fiel hier fort - das erforderte eine modifizierte Predigtart. Eine große Hilfe war hier der Dienst des Kirchenchors. Die Ärzte hielten sich stark zurück, eine Ausnahme bildeten u.a. Frau Dr. Haarer, Prof. Schittenhelm und der angesehene Chirurg Dr. Daxl, an denen man wirksame Hilfe an der Lazarettseelsorge hatte. - Die Kranken und Sterbenden sind nach Kräften besucht worden, auch zirkulierten späterhin Liederbücher und Schriften. Freilich hätte hier mehr geschehen müssen. - Bei den Bestattungen außerhalb des Lagers durfte der Pfarrer nur einmal mitwirken, auch die Evangelischen sollten dann unter Assistenz des kath. Ortspfarrers in Moosburg beerdigt worden sein, Es war nahezu unmöglich, darüber klare Auskünfte zu bekommen, auch schienen zeitweise die Benachrichtigungen der Angehörigen großen Zufälligkeiten ausgesetzt gewesen zu sein. Es war wirklich ein elendes Sterben im Lager! Die Baracke 1 war für Kriegsverbrecher“ reserviert, es gab denunzierte Deutsche und viele Ausländer dort, z.T. „Kapos“ aus den deutschen KZs. Die offensichtlich anständigen Elemente hatten es hier nicht leicht. Um so dankbarer ist gerade von ihnen der Besuch des Pfarrers und sind Gottesdienste und vorträge bei der totalen Abgeschlossenheit begrüßt worden. Die Gottesdienste mussten in dem einen Barackenraum gehalten werden, fast alle nahmen, von ihren Lagern aus zuhörend am Gottesdienst teil. So waren gerade diese Gottesdienste eine große Gelegenheit. Hier war die größte Finsternis! Rückblick und AuswertungWir sehen nur, was vor Augen ist, aber auch eine ganz nüchterne Betrachtung darf von einem unerwarteten geistlichen Ertrag der Moosburger Zeit reden. Der Pfarrer hat hier in der Unabgezogenheit und Intensität seines Dienstes den schönsten Teil seiner bisherigen Amtszeit gehabt. Hunderte haben dankbar bezeugt mit klaren nüchternen Worten, dass sie Entscheidendes in Moosburg erlebt hätten. Aus den einlaufenden Briefen Entlassener: „Schon lange wusste ich, warum ich nach Moosburg kommen musste.“ – „Moosburg war eine Zeit besonderen Hörens auf das Wort Gottes“. – „Ich bin auch einer von den vielen im Lager, die dort die Hand ihres Heilandes wieder erfasst haben und Vergebung ihrer vielen Sünden fanden.“ Kirchenchristen haben –wie sie sagen – in der „Schule von Moosburg“ den Reichtum des Wortes und die Herrlichkeit der Kirche erkannt und erfahren. Männer von der Peripherie der Kirche sind wirkliche Gemeindeglieder geworden mit dem ernsten Vorsatz, in Haus, Beruf und Gemeinde hinfort unter dem Wort zu leben, z.B. auch ihre Frauen zu gewinnen. Nicht wenige der ganz außerhalb Stehenden und der Verächter der Kirche und Wort Gottes haben eine völlige Umkehr erlebt. In der Not des Zusammenbruchs und der quälenden Gefangenschaft ist das Wort von der „Freiheit eines Christenmenschen“ und das allsonntägliche Gebetswort: „Befreie uns aus der Gefangenschaft zu der herrlichen Freiheit deiner Kinder“ erfahren und inbrünstig aufgenommen worden. Es ist bittere Lebensschuld und Not, persönliche und politische, offenbart worden, und in der Einzelbeichte sind Sünden ohne Rückhalt und Entschuldigung bekannt worden. Und vor allem: Es ist zu einer wirklichen Gemeindebildung größten Ausmaßes gekommen, bei der man stellenweise die Gleichzeitigkeit zur Neutestamentlichen Gemeindesituation spürte. Das Wort Gottes war zeitweise eine spürbare Macht im Lager. Es liegt nichts in Worten, aber vielleicht dürfte man doch von einer „Erweckung“ besonderer Art sprechen. Einer sehr nüchternen, kirchlichen Erweckung. Wenn das erste Kennzeichen einer Erweckung ein neuer und großer Hunger nach Gottes Wort, auch nach der Lektüre der Bibel bei vielen ist, so war Moosburg sicherlich nicht ohne Erweckung, deren Früchte sich auch ganz sicher draußen auswirken werden. Das alles ist von keinem Menschen geplant, erstrebt, betrieben worden. Es wurde versucht, von Anfang an das Wort Gottes in seinem kompromisslosen Ernst aber auch in seiner ganzen Menschenfreundlichkeit anhaltend zu verkündigen, allgemein und besonders. Und dieses Wort fiel in die Grenzsituation des Gefangenen, Gescheiterten, die Zukunft Fürchtenden hinein. Die lange Zeit war wohl in besonderes Geschenk. So musste sich alles bewähren - der Reichtum der Treue Gottes in seinem Wort, aber auch die Natur des menschlichen Herzens konnte von allen Seiten her erkannt werden. Bei der riesengroßen Entfernung des modernen Menschen von Gott helfen ja die flüchtigen Berührungen mit dem kirchlichen Raum, wie sie unsere kirchliche Praxis bieten kann, nichts. „Wir mussten in die Tiefe geführt werden,“ sagten viele unserer Männer. - - Handelte es sich aber bei der auffallenden Zuwendung zum Wort und zur Gemeinde nicht doch bloß um Konjunktur? So auch einer der amerikanischen Chaplains. Vielleicht bei einem Teil, bei den Evangelischen aber ein sehr kleiner Teil. Dieser ist dann nach einiger Zeit, als man sich „gefangen „ hatte, die Hungerzeit vorbei war (und man auch wieder Zoten hören konnte!) und für Ablenkung anderweitig genügend gesorgt war, weg geblieben. – Bei den Evangelischen war es auch keineswegs so, dass der Wiedereintritt in die Kirche in Massen begehrt worden wäre. Es ist von unserer Seite auch nie der Kirchenaustritt als die Sünde des NS hingestellt worden und auch nie zum Wiedereintritt aufgefordert worden (nach vielen Monaten wussten manche Interessierte noch gar nichts von dieser Möglichkeit im Lager!). dafür ist ernsthaft zur subjektiven Wahrhaftigkeit ermahnt worden. Auch ist stets sehr nüchtern von der Lage und den geistig – politischen Aussichten der Kirche und ehrlich von ihren besonderen Nöten gesprochen worden. Die politischen Rückhalt suchten, sind zur katholischen Kirche gegangen, wo man die Tore sehr weit auftat, die Gebildete z.B. auch nur zu einer quasi Anerkennung der Dogmen, also mehr zu einer Bejahung des pädagogischen Instituts Kirche verpflichteten. Es sind nur etwa 200 Wiedereintritte rechtlich (über Gemeinde Freising) vollzogen worden, dazu kommen noch viele schriftlich vollzogene Willensbekundigungen, die draußen noch ihrer rechtlichen Vollendung harren. Merkwürdigerweise kamen die meisten Bitten um Wiedereintritt um die und nach der Osterzeit. Mit allen Petenten ist mehrfach gesprochen worden. Die allermeisten dieser Gespräche machten zumindest eine ernste und begründete Tendenz zum Sein und zu der Botschaft der Kirche sichtbar „Ich habe es mir ein Jahr überlegt, jetzt bin ich soweit!“, konnte man oft hören. Der Aufnahe in den Schlussunterricht ging eine im Allgemeinen eine einhalbjährige Beteiligung am Gemeindeleben voraus. Im Allgemeinen fiel die rechtliche Aufnahme in die Kirche mit dem ersten Abendmahlsgang zusammen. Doch ist in Ausnahmefällen (bei besonderem Begehren) die Zulassung zum hl. Abendmahl auch vorher schon erteilt worden. – Übrigens war ich überrascht, wie sehr seit Beginn des Krieges der Austritt allgemein geworden ist. Wir haben oft gestaunt, wer alles ausgetreten war! Die meisten Wiedereintretenden gehörten den Jahrgängen 1900-1910 an. Jüngere fehlten, waren allerdings auch im Lager schwächer vertreten. An die jüngeren SS-Leute sind wir leider nur sehr wenig herangekommen, sie waren aber überhaupt geistig nicht ansprechbar. Der starken Zuwendung zum Wort Gottes entsprach aber auch eine nach einigen Monaten einsetzende geistige Verhärtung, Reserve, ja Ablehnung bei einem Teil der Lagerinsassen. Man rechnete, dass etwa 60% gegen Ende des ersten Jahres die Gottesdienste beider Konfessionen besuchten. Die übrigen 30-40% waren z.T. die „dritte Konfession“, z.T. geistig überhaupt nicht ansprechbar. In manchen Baracken stieg und fiel der Pegel des Antichristentums. Es gab viel versteckte Sabotage der kirchl. Arbeit auch seitens der Funktionäre. Die wenigen christlichen Vortragenden konnten immerhin auf breite Zustimmung rechnen, wenn sie ihrer alten unverändert „charaktervollen“ Haltung Ausdruck gaben. Der Name Niemöller war zeitweise das rote Tuch für die Lagermajorität, es gab stürmische Zwischenrufe, wenn sein Name (bewusst ungeschickt?) aus Presse und Radio im Lagernachrichtendienst auftauchte. – Im Grunde war es nur gut, dass sich der latente Widerstand immer wieder offen und erkennbar regte. Die letzte Entscheidungsfrage ist so immer offen gehalten worden. Im Bereich des Geistig – Kulturellen jedoch hat die christliche Grundstimmung je länger je mehr dominiert. Kirche und Kultur gehörten im Lager zusammen. Die Ausstattung der Kirchenbaracke in Block 6 symbolisierte das. Links und rechts vom Altar hatten die beiden Kirchen einen biblischen Wandspruch, während die Seitenwände mit Bildern und Aussprüchen der Großen aus deutscher Kultur geschmückt waren. In der äußersten Ecke übrigens auch ein Wochenspruch des gottgläubigen „Lagerdichters“ („Der Sinn des Daseins ist das Leben“) mit dem Vermerk, dass man diesen draußen für 3.- kaufen könne! Glaubensbegründung und Akzente der VerkündigungWas hat die Männer im evang. Bereich angesprochen? Sicherlich auch – wie vorwiegend oder ausschließlich bei den Katholiken- die Autorität der Kirche. dass in dem Chaos und all der Ratlosigkeit Kirche in Erscheinung trat, dass diese Kirche eine undiskutierbare Wahrheit vertrat und (was sehr beachtet wurde) zur Einheit strebte, hat sehr viele aufhorchen lassen. Die Konstituierung der EKiD mit Wurm und Niemöller war ein volksmissionarisch bedeutsames Faktum. Dementsprechend auch die Tatsache der Oekumene. (Das alles war ja der Masse der Evangelischen fremd und völlig neu!) Es hat zunächst auch stark gewirkt die feste Ordnung unseres Gemeindelebens, die Intensität der Gemeindearbeit, gerade auch das tägliche Zusammenkommen, auch die Forderung, dass ein evangelischer Christ sich sonntags zur Gemeinde verfügen müsse! – Weiter überzeugte stark die Aktualität der biblischen Aussagen. Auch die Zeit- und Situationsgemäßheit unserer guten alten Choräle. Man dachte, das alles sei für Frauen und Kinder, sei veraltet und verstaubt, und nun war alles wie auf den Leib geschnitten. – Wo christliche Tradition mit ins Lager gebracht wurde, handelte es sich vorwiegend um Gefühlschristentum. Männer aus konfessioneller Landschaft fanden die Tatsache des altgewohnten Gottesdienstes (in dem man bei der Predigt nicht unbedingt aufpassen musste) schön und genügend. Im Lager haben diese Kirchgänger (wie ein fränkischer Bauer sagte) gelernt, dass das „alles einen klaren Sinn habe.“ Der gebildete und ungebildete Protestant ist sich eigentlich darüber klar, dass in der Kirche vage und unbeweisbare Dinge vertreten werden, ja, dass es pietätlos sei nach der ratio, dem Glaubensgrund für das Verkündigte zu fragen. Demgegenüber wirkte stark die Gegenwartsbezogenheit der Verkündigung. Darum war es auch wirklich notwendig, immer wieder darzutun, dass die Bibel ein einzigartig gutes literarisches Dokument ist, dass jedes Wort und jeder Begriff wichtig sind und erarbeitet sein wollen, dass die Entscheidung an dem Christus der Schrift falle und dass dieser nicht einfach beiseite geschoben werden kann, dass er wirklich gelebt hat und jeder andere Christus als der der Schrift ein Phantasiegebilde ist. Ist das alles wirklich wahr? Die ganze Lagersituation ermöglichte es, dass man die Anfechtung des modernen noch immer aufklärerischen Menschen offen aussprach und nicht in falscher Scheu verschloss. Nach unserer Erfahrung muss man heutzutage mit drei Schuttschichten rechnen, die die Verkündigung abzutragen hat: 1. Der platte praktische Materialismus, Diesseitigkeit und Nihilismus. 2. Die liberal –z.T. gottgläubige Religiosität („Gott in uns“) 3. Das naturwissenschaftliche Denken und Fühlen. Befreiend wirkte auch immer der Hinweis, dass allein der Glaube die Hilfe ist und dass wahrer Glaube nicht ein sacrificium intellektus, sondern Geschenk Gottes ist und eine totale Hingabe an den wirklichen und wahrhaftigen Gott, nicht den „Gott der Philosophen“, wirkt. – Stark beachtet wurde auch diese Akzentuierung der bibl. Verkündigung: Die biblische Verkündigung des einen Gottes sichert die Ehrfurcht vor dem einen Menschen, „Gott ward Mensch, damit wir menschlich würden.“ Die SchuldfrageDass in einem Zivilint.-Lager die Erörterung der Schuldfrage ein besonders heikler Punkt war, leuchtet ein. Das Gros lehnte eine persönliche Verantwortung für das Geschehene ab und betrachtete sich höchstens als Opfer unkluger Politik, des Terrors, der Sabotage anderer. Kreisleiter sprachen gern von der –im Lager erst bei konkreter Begegnung erkannten – Unfähigkeit oder dem Verrat der hohen Offiziere. Die ersten Berichte über den 20.Juli haben bei vielen noch einmal abgründigen Hass gegen altes Preussentum und Kirche hochkommen lassen. Die nahezu völlige Unkenntnis der Geschichte in der Weimarer Zeit selbst in der jüngeren Generation der Universitätsdozenten bot schlechte Vorraussetzungen für eine menschliche Diskussion auf der politischen Ebene. Trotzdem ist hier von einigen Fachleuten Gutes geleistet worden, was Aufklärungsarbeit betrifft. Die kath. Seite wirkte hier leider nur propagandistisch. Es gebe nur die Schuld einzelner. Und vor allem sei es unmöglich, vor Menschen, etwa unseren kulturlosen Gegnern, eine allgemeine Schuld zu bekennen. Ein Schuldbekenntnis gehöre nur vor Gott, nicht einmal vor den Hl. Vater! So hatten wir mit der Stuttgarter Erklärung und mehr noch mit den aus dem Zusammenhang gerissenen Worten Niemöllers, einen sehr schweren Stand. Die sehr lebhafte Diskussion in unseren eigenen Reihen wurde abgeschlossen mit einem öffentlichen Vortrag über Oekumene und Schulderklärung. Wie schwer trugen wir daran, dass die Welt die Sprache der Christen nicht mehr versteht, und wie geduldig muss man sein, bis der einzelne sich persönlich betroffen weiß. Ein Beispiel aus den ersten Wochen: Ein Kamerad kam wirklich tief bedrückt an: Er verstehe nicht, warum gerade unser Volk so furchtbar leiden müsse. Ich konnte ihm keine ihn befriedigende Antwort geben. An einem der nächsten Sonntage ist über Kain und Abel und in der Anwendung auf den seit 1918 bei uns herrschenden Brudermord im Volke gepredigt worden. Danach kam derselbe Kamerad: Er wisse jetzt, dass wir schuldig leiden müssten.- Ein Zeichen für die durchgängige Entfernung vom biblischen Denken war das erstaunen darüber, dass die evang. Kirche ihr Schuldbekenntnis verband mit dem Eintreten für das leidende Volk. So ist auch die Eingabe an die Lagergemeinde betr. Entnazifizierungsgesetz stark beachtet worden und wirkte als ein Baustein zur Würdigung unseres totalen Anliegens. Auch die große Predigt von OKR Daumiller am 20.2.46 vor über 3000 Männern (mit der Erörterung der Schuldfrage vom Kreuz Christi aus und ihrer konkreten Bezugnahme auf „Dachau“) hat uns in der Auseinandersetzung sehr geholfen. Die Unbelehrbaren bleiben dabei: „Ob Wurm, Niemöller, Daumiller oder Rott – es sei alles dasselbe.“ Man wollte überhaupt nichts von Schuld wissen. Das Verhältnis der KonfessionenDas nebeneinander von Kath. und Evang. hat sich insgesamt als sehr förderlich erwiesen. Es herrschte eine gesunde Konkurrenz“ Die kath. Seite neigte zuerst dazu, die Protestanten als quantité négligeable zu betrachten. Dies tat auch die erste (religiös gänzlich indifferente) Bürgermeisterei. Bei gebildeten Protestanten waren katholisierende Neigungen weit verbreitet. Anziehend wirkte die schöne Form der Gottesdienste (später Beuroner Kunst), die autoritäre Menschenführung und die politische Macht der kath. Kirche, namentlich in Bayern. Hinzu kam, dass auch die kirchlichen Protestanten nichts vom Kirchenkampf und dem neuen Bekennen des alten Bekenntnisses wussten. Erst die Gemeindebildung und das neue Entdecken der Güter und Gaben der evang. Kirch schufen hier einen Wandel, das evang.-kirchl. Selbstbewußtsein (auch „Begeisterung für den Protestantismus“) wuchs, und die Schwächen des röm.-kath. Systems traten von selbst in das Blickfeld der scharf Beobachtenden. Der Glaube an die Einheit der Kirche ist wohl von unserer Seite stärker betont worden, auch ging die Initiative für gemeinsame praktische Schritte überwiegend von uns aus. „Wir sind getrennte Brüder“, auch gewisse Enttäuschungen haben uns hierin nicht irre gemacht. Diese offene, verständigungsbereite Haltung bei kräftigem Herausstellen der bibl.- reformatorischen Position hat uns bei gebildeten Katholiken und auch Außenstehenden viel Sympathie verschafft. Auch in den kath. Gottesdiensten hörte man zuletzt viele Aufrufe und Mahnungen zur Verständigung und zum Zusammenstehen. Im ganzen haben wir die Erfahrung gemacht: Sobald die evang. Kirche einen Faktor darstellt, mit dem man rechnen muss, erfuhr sie Würdigung und Berücksichtigung.- Aber es wirklich nicht leicht, neben dieser Weltkirche die evangelische Kirche heute vertreten zu müssen! Das hat mich in Moosburg manchen Seufzer gekostet. Die ernsten Christen beider Konfessionen, namentlich unter den Gebildeten, förderten die zwischenkirchliche Verständigung nachdrücklich. In einzelnen Blocks bestand ein guter Kontakt zwischen kath. und evang. Mitarbeitern. Hier erstrebt man eine brüderliche Arbeitsgemeinschaft. An den Sitzungen der sozialethischen AG nahmen öfter auch geladene Katholiken teil. Wenige auftauchende Schwierigkeiten wurden immer durch Vermittlung von führenden Laien ausgeräumt. So redeten und arbeiteten die pfarrer beider konfesionen unter einer gewissen für den konfessionellen Frieden heilsamen Laienkontrolle. Kirchliche Vorträge aber auch Gottesdienste sind weithin promiscue besucht worden. Nicht wenige aus der Bildungsschicht, die wieder zum Christentum zurück wollten, schwankten, welcher Konfession sie sich endgültig zu wenden wollten. Es gab auch solche, die grundsätzlich beide Gottesdienste besuchten. Es wurde in Moosburg so ganz deutlich, wie sehr die letzten 12 Jahre eine gefühlsmäßige Einebnung in konfessionellen Dingen unter den Laien gebracht haben. . Natürlich besuchten auch solche Männer, die mehr oder weniger fest in ihrer Konfession standen, die Gottesdienste der anderen Konfession. Gerade unsere Bibelarbeit hat sich der Mitarbeit eines festen kath. Personenkreises erfreut. Bibelarbeit und Glaubenslehre, die größere Andacht und Sammlung bei den evang. Abendmahlsfeiern, auch die brüderlich – freie Form unserer Beichte, nicht zu vergessen der evang. Choralgesang haben bei ernsteren Katholiken ausgesprochene Anerkennung gefunden. Als Mängel des „evang.“ Systems wurden von den verständnisvollen Katholiken in der Aussprache oft geltend gemacht: Die Abhängigkeit der Gemeindearbeit und des Gottesdienstes von der zufälligen Begabung des Predigers und die geistige Überforderung desselbigen, der Mangel an fester pädagogischer Führung für das „Volk“, die weithin unsichtbare Form der ev. Kirchenleitung, die protestantische Uneinigkeit (Nebeneinander mehrerer Konfessionstypen, starke landschaftl. Besonderheiten usw.) – Dinge, die natürlich ständig auch von protest. Laien der kirchlichen Randzonen bemängelt wurden. Die Kritik kann man auf die Formel bringen: Evang. Kirche sehr gut – bei tüchtigen Predigern und für überdurchschnittliche Leute mit geistigen Bedürfnissen! Anmerkungsweise eine kleine Beobachtung: Evang. Laien fiel auf, dass im katholischen Gottesdienst die Gemeinde verschiedentlich gelobt worden ist. Wir tun das nie –im Gegensatz etwa zu Paulus, der ruhig ausspricht, was ihm an der Haltung seiner Gemeinde Freude macht. Die orthodoxen Christen (ca 25) hielten sich zum evang. Abendmahl (nach vorhergehender Aussprache). Ein Grieche beichtete auch einmal. Die geistliche Verbindung mit einigen Orthodoxen war eng. Auch Mennoniten und einige ev. Freikirchliche haben am Gemeindeleben, auch am hl. Abendmahl teilgenommen. – Die russische Weihnachtsfeier ist durch eine evang. Andacht eröffnet worden, es folgten dann die russischen Gesänge. Das war Oekumene hinter Stacheldraht. Ein russischer Dostojewski – Interpret sagte nachher: „So stellen wir uns die Wiedervereinigung der Kirchen vor.“ Not und Hunger können die niedersten Triebe des Menschen wecken, ihn zum Rennen und Jagen treiben, ihm alle Zeit für Gott nehmen und sein Versklavtsein unter die Elemente dieser Weltzeit mehren. – Das ist weithin die Situation des kirchlichen Alltags „in der Freiheit“. Wenn aber in äußerer Gefangenschaft uns alle Auswege versperrt sind, dann können Hunger und Not uns zu einem „Fasten“ gewandelt werden, das uns ins ernstliche Beten treibt und uns zu neuem Hören des Wortes bereitet und damit auch zu einem neuen Reden und Bekennen der großen Taten Gottes. Aus einem Predigttext des Hungersommers 1945 in Moosburg: „Sie brachten zu ihm einen Tauben, der stumm war, und sie baten ihn, dass er die Hand auf ihn legte. Und er nahm ihn von dem Volk besonders und legte ihm die Finger in die Ohren und rührte seine Zunge und sah auf gen Himmel und sprach zu ihm: Hephata! Das ist: Tu dich auf! Alsbald taten sich seine Ohren auf, und das Band seiner Zunge ward los, und er redete recht.“ (Mark. 7, 32-35) Quellen:
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