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Internierungslager: Zeitzeugen


Wilhelm Rott

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von © Bettina Rott.

Mein Weg nach Moosburg

So oft bin ich von meinen nächsten Mitarbeitern und von Gliedern der evangelischen Kirchengemeinde gefragt worden, wie gerade ich, der ich Bonhoeffers Studieninspektor in Finkenwalde und Pastor der Bekennenden Kirche im Rheinland war und der ich später sogar von der Gestapo eingesperrt wurde, eigentlich in das Internierungslager der Amerikaner geraten sei.

Zunächst muß ich zurückgreifen auf eine Bemerkung von Bruder Eickstedt in „Christus unter Internierten“. Er schreibt dort: „Wir stellten fest, dass wir manche gemeinsamen Freunde und Bekannte in meiner Heimat Pommern hatten, denn der Pfarrer Wilhem Rott war während des Kirchenkampfes in Pommern an dem Predigerseminar Finkenwalde, das der Bekennenden Kirche dort eingerichtet hatte, tätig gewesen. Anschließend war er bei Niemöller als Mitarbeiter in seiner Dahlemer Gemeinde, von 1937 bis 1943 Referent in der vorläufigen Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland gewesen, bis er durch gute Freunde im OKW dem Zugriff der Gestapo entzogen, als Soldat eingezogen und nach Athen geschickt wurde, wo er in der Abteilung „Abwehr“ Dienst tat. Das wurde ihm bei der Entlassung zum Verhängnis, uns aber zu großem Glück. Wir Christen wissen, dass es kein zufall war.“

In der Tat: Im Rückblick stellt es sich so dar, dass die vielfach verschlungenen Pfade der Zeit nach 1933 (Rheinland, Pommern, Berlin, Athen) nach Moosburg führen mussten. Hominum confusione, dei providentia, d.h. durch alle von Menschen angerichtete Verwirrung hindurch, aber unter der Leitung und Korrektur Gottes. Wäre ich nicht, wie viele rheinische Kandidaten, durch den „Reichsbischof“ 1934 aus dem Dienst der offiziellen Kirche entfernt worden und hätte ich nicht darum meine zweite theologische Prüfung bei der illegalen Bekennenden Kirche des Rheinlandes machen müssen, so wäre ich nicht 1935 als Studieninspektor an das illegale Predigerseminar der altpreußischen Bekennenden Kirche nach Finkenwalde in Pommern zu Dietrich Bonhoeffer gekommen und zwei Jahre später als Mitarbeiter – vor allem für Unterrichtsfragen – zur vorläufigen Leitung der DEK, der Deutschen Evangelischen Kirche, berufen worden. Die sogenannte VKL, die vorläufige Kirchenleitung, wurde mit der Verhaftung Niemöllers am 1.Juli 1937 auch vollends „illegal“ und „der junge Mann“ wurde bei den Dauerbehinderungen der fünf theologischen Mitarbeiter der von der letzten Reichs-Bekenntnissynode 1936 eingesetzten Leitung in Berlin „unabkömmlich.“

Als Soldat war ich natürlich nicht nur in Athen. Der Zusammenbruch erreichte unseren Abwehrtrupp auf dem Rückmarsch durch den Balkan und in den italienischen Alpen. Wir kamen in das Auffanglager Kaprun, von dort ging’s nach einigen Wochen nach Glonn in Oberbayern. Dann sollten wir entlassen werden. Dies sollte in dem oberbayrischen Entlassunslager Baldham geschehen. Ich weiß noch, dass ich dort wieder Gottesdienste im Freien halten konnte. Ich wusste, dass sich meine Frau mit den beiden kleinen Kindern aus der Evakuierung in Ostpommern im letzten Augenblick nach Oberfranken abgesetzt hatte und malte mir aus, dass wir in ein paar Tagen wieder zusammensein könnten.

Es sollte aber alles anders kommen. In der Entlassungsbaracke musste ich dem amerikanischen Offizier mein Soldbuch zeigen. Wie das bei unserem „Verein“ üblich war, war sein Inhalt harmlos. Wenn ich mich richtig erinnere, war darin „Frontleitstelle Agram“ verzeichnet, sonst nichts als Ortsangabe. Der „Ami“ sah sich alles aufmerksam an, blätterte in einem dicken Wälzer und fragte plötzlich: „Wie lange waren sie in Athen?“ Nun, ich hatte nichts zu verbergen und antwortete wahrheitsgemäß: „Ein Jahr.“ Ein Wink und ich verschwand in einem Nebenraum, der sich langsam füllte. Ich hatte etwas Zeit, um über das Geheimnis dieser Entdeckung nachzudenken. Die Gegenspionage muß ja in Hellas vorzüglich geklappt haben! Man hatte auch seine Vermutungen. Jedenfalls war es sicherlich etwas „Nicht-sein-Sollendes“ im schönen Athen, das mich nun nicht nach Trumsdorf in Oberfranken, sonder nach Moosburg nach Oberbayern brachte.

Dorthin ging es nämlich am gleichen Tage. Ein Laster fuhr vor, und die schwarzen Fahrer legten ihr bekanntes tollkühnes Tempo vor. Es ging durch das zerstörte München in die Friesinger Gegend. „Moosburg“ dünkte mich ein poetischer Name zu sein, bisher mir nur aus dem Liedchen von dem Kuckuck, der aus dem Moosburg herausschreit, bekannt. Die „Vorhölle“ war ja dann weniger poetisch, aber niedergeschlagen war ich eigentlich nicht: Es musste sich ja bald alles aufklären. Zu meiner Aufmunterung traf ich draußen im Sand und Staub, in dem ich einiges Unnützes zu verbrennen suchte, einen alten Jugendfreund aus Düsseldorf, den späteren Oberstudiendirektor Schubert in Oberlahnstein. In der fußbodenfreien Baracke suchte man sich ein Plätzchen. Um mich waren bald einige Kameraden, die den Gottesdienst im Entlassungslager mitgemacht hatten. Dann ging wieder einmal die Türe auf, und ein älterer Herr in dunklem Anzug, mit randloser Brille und einem Köfferchen in der Hand blickte etwas verlegen in die dunkle Baracke hinein. Man stieß mich an: „Ein Kollege von dir, bestimmt!“, sagten einige Landser. Ich ging auf ihn zu und bot ihm einen Platz an.

Er dankte, machte sein Köfferchen auf und vertiefte sich in eine – hebräische Grammatik, den uns Theologen wohlbekannten Hollenberg. Also wirklich ein Kollege? Die Tage der Vorhölle brachten dann aber draußen manch gutes historisches Gespräch. Nach einigen Tagen entschuldigte sich dieser gebildete Herr, dass er – aus „Tarngründen“ – seinen Namen nicht genannt habe. Er sei aus dem bayrischen Kultusministerium herausgeholt worden, es müsse ein Missverständnis sein. Auch Abwehr, Passstelle München! Mir wollte er aber seinen Namen offenbaren: Ministerialrat Dr. Eugen Meyer. Viele kennen ihn aus seinen Lagervorträgen. Sollte er noch leben, so grüße ich diesen toleranten katholischen Freund unserer Lagergemeinde, der mit mir dann auf dem Weg aus der Vorhölle in das Lager „bepustet“ wurde – wie wir alle, wegen des Ungeziefers in den Kriegsgefangenen- Baracken. Und dann begann das eigentliche „Moosburg“, die intensivste Zeit meines Lebens.

* Quellen:

  • E-Mails von Bettina Rott, Neckargemünd, an Moosburg Online, Februar 2004.

    Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von © Bettina Rott.

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