Internierungslager: Die Evangelische Lagergemeinde |
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Christus unter Interniertenvon Dr. Klaus von EickstedtExcurs: Weihnachten im LagerWeihnachten in einem Internierungslager! Was das bedeutet, kann nur der in vollem Umfange ermessen, der ähnliche Situationen am eigenen Leibe erfahren hat. Es muß nochmal hervorgehoben werden, daß diese Situation ja nicht nur durch den Hunger und seine Folgeerscheinungen, sondern vor allem durch die unerhörte seelische Belastung bestimmt wurde, die im völligen Abgeschnittensein von allen Lieben daheim bestand. So konnte man beobachten, wie die Männer, je näher das Fest heranrückte, innerlich aufgewühlt oder weich wurden. Und so wurde dieses erste Weihnachten hinter Stacheldraht zu einer fast unerträglichen Belastungs- und Zerreißprobe für die Nerven. So kam es schon während der Adventszeit, als Ausdruck einer besonders nervösen Spannung, an verschiedenen Stellen zu lebhaften Auseinandersetzungen. Den antichristlich eingestellten Kameraden war vielfach das Anbringen von Adventskränzen unangenehm, sie vermochten es aber nicht zu verhindern. Ein kleiner Zwischenfall in meiner Gruppe (durch Schränke abgeteilter Raum von 12 Betten als Zimmerersatz) sei als symptomatisch für ähnliche Vorgänge erzählt: Ein Kamerad, im Zivilberuf hoher Justizbeamter, durch die Partei hochgespült, fanatischer Gegner des Christentums, schreit mich plötzlich an: „In unsere Gruppe kommt kein Adventskranz und kein Tannenbaum. Wenn versucht werden sollte, in unserer Gruppe Weihnachten zu feiern, dann werde ich mich mit meinen Freunden hier in diese Ecke setzen und solange Zoten erzählen bis Euch das Feiern vergeht!“ Es passierte nichts. Während der ganzen Adventszeit hing nicht nur unser Kranz von der Decke herab, sondern ein kleines Krippentransparent – am Sonntag zu den Mahlzeiten durch einen Lichtstumpf erleuchtet – stand dauernd und unangefochten auf unserem Tisch. Unsere Forstkommandos hatten vom Holzfällen Tannenbäume mit in das Lager gebracht, sie wurden in den Kirchenbaracken neben den Altar gestellt und mit einigen wenigen Lichtern geschmückt, die Kameraden von draußen bekommen hatten. Ehe die eigentliche kirchliche Weihnachtsfeier am Heiligen Abend begann, wurde am Nachmittag auf dem großen freien Platze vor der Bürgermeisterei eine allgemeine Lagerweihnachtsfeier im Freien begangen. Das hatte der Amerikaner gewünscht und zu diesem Zwecke einen riesigen Weihnachtsbaum, übersät mit elektrischen Lichtern, aufgebaut. Drei Ansprachen wurden gehalten, eine weltliche, eine katholische und eine evangelische. Dann begann die Christvesper, eine von ihnen hielt unser Laiensenior, Unterstaatssekretär von Burgsdorff. Unsere Gemeinde verehrte ihn hoch. Er war der erste Laie, der es übernahm, die ersten Morgenandachten zur Entlastung unseres Lagerpfarrers zu halten, bis dann acht weitere Lektoren aus den Reihen des Kirchenvorstandes eingesetzt wurden. Seine vorbildliche Haltung, seine aus tiefster Frömmigkeit erwachsende Gelassenheit und Ruhe strahlte, wo er auftrat, Trost und Frieden aus. Mit großem Ernst führte er aus, was Weihnachten in unserer Situation zu bedeuten habe. Vielen Kameraden, nicht zuletzt denen, die sonst allem kirchlichen Leben fernstanden, ist diese Ansprache unvergeßlich geblieben. Vor allen Dingen wurde weithin beachtet, besonders von unseren katholischen Kameraden, daß hier für die evangelische Kirche kein Pfarrer, sondern ein Laie Zeugnis ablegte von dem Kind in der Krippe, das für sein Leben bestimmend geworden war. An jenem Tage ahnten wir noch nicht, welch schweres Schicksal unserem Senior in Kürze durch seine Auslieferung an die Polen beschieden sein sollte. Nach kurzer Zeugenaussage in einem Nürnberger Prozeß wurde er ausgeliefert und hat dann trotz aller Bemühungen hoher in- und ausländischer Kirchenführer in schwerer Einzelhaft drei Jahre lang zubringen müssen, bis er uns kürzlich wiedergeschenkt wurde! Bis zu diesem Tage hatte die Lagergemeinde seiner täglich fürbittend gedacht. Nun zu der Christvesper in Baracke 6, die ich persönlich miterlebte. Brennende Weihnachtsbäume rechts und links neben dem Altar. Manche Träne rann über die eingefallenen Backen. Dann die gewaltige Predigt über den Prolog des Johannes-Evangeliums: „Und das Wort ward Fleisch und wohnete unter uns“, „Und das Licht scheint in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht begriffen.“ Doch, so mancher hatte hier begriffen, allerdings manch langes Leben war darüber hingegangen, in dieser Stunde wurde die Finsternis unseres so verlorenen Daseins hell! Als dann aus tiefster Ergriffenheit heraus tausend Männer am Schluß dieses denkwürdigen Heiligen Abends das Lied anstimmten: „O, Du fröhliche ...“, brauste das „Freue dich, freue dich, o Christenheit“ wie ein gewaltiger Jubelchor empor zur Höhe. Ein Leuchten lag über den Gesichter, als die Männer stumm in ihre Baracken zurückgingen. |
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