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Internierungslager: Die Evangelische Lagergemeinde


Inhalt

Quelle:
Klaus von Eickstedt: Christus unter Internierten. Neuendettelsau: Freimund-Verlag 1948.

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des © Freimund-Verlags.

Christus unter Internierten

von Dr. Klaus von Eickstedt

Gottesdienstliches Leben

Nun wollen wir zunächst von dem beginnenden gottesdienstlichen Leben im engeren Sinne berichten. In den ersten Monaten der Inhaftierung erschwerte das Verbot der Amerikaner, die einzelnen Blocks zu verlassen, außerordentlich die Bildung einer einheitlichen Lagergemeinde. Es mußten während dieser Zeit die ersten Sonntagsgottesdienste siebenmal an sieben verschiedenen Orten abgehalten werden, dazu je ein Gottesdienst im Frauenblock, im Lazarett und in der Strafbaracke. Alsbald durften die Blockvertrauensleute auf Grund eines besonderen Ausweises die Kirchgänger aus dem Block heraus ein eine Kirchbaracke führen und geschlossen wieder zurückbringen. Diese Kirchgänge führten oft zu Spannungen innerhalb des Kameradenkreises. Bot doch der „Kirchgang“ manchen Lagerinsassen, die gar nicht die Absicht hatten, am Gottesdienst teilzunehmen, eine erwünschte Gelegenheit, ihre Freunde in anderen Blocks zu besuchen. Dies war jedoch streng verboten und ein Verstoß gegen dieses Verbot gefährdete überhaupt die Abhaltung von Gottesdiensten im Lager. So war es schon eine Belastung für die Vertrauensleute, solches Ansuchen abzuschlagen, die „schwarzen“ Kirchgänger zurückzuweisen und sich die Vorwürfe von Unkameradschaftlichkeit und großer Enge gefallen zu lassen. Nach einigen Monaten ließ sich der neue amerikanische Lagerkommandant bereitfinden, die Bestimmungen zu lockern.

Anfangs war nur eine baufällige Baracke für kirchliche Zwecke freigegeben worden. Die ständig wachsende Besucherzahl machte es notwendig, eine weitere Baracke als Kirchenbaracke einzurichten. Aus kümmerlichem Katakombendasein wuchsen aus verfallenen Bretterbuden unsere Kirchen. In den ersten Monaten diente als Altar noch ein roh gezimmerter Tisch, dessen Vorderseite mit Pappdeckeln benagelt wurde. Auch die Wand hinter dem Altar wurde mit Pappdeckeln verkleidet und auf dieser Pappwand leuchtete aus aneinandergesetzten blankgeputzten Konservendosendeckeln hergestellt, ein großes Kreuz. Um diese Baracke äußerlich als Gotteshaus zu kennzeichnen, wurde neben der Baracke ein großes Holzkreuz errichtet. Als dieses immer wieder zum Aufhängen von Wäsche benutzt wurde und alle Bitten, es zu unterlassen, nichts fruchteten, unternahmen handfeste Männer der jungen Gemeinde einen „Kreuzzug“ gegen diese Tempelschänder und siegten ob. Es mußten auch in der ersten Zeit während der Morgenandachten Wachen ausgestellt werden, um zu verhindern, daß Störenfriede die neben der Kirchbaracke befindlichen Lautsprecher einschalteten. Aus unserer dürftigen Kirchenbehausung der ersten Monate entstand allmählich, nachdem Werkzeuge, Farben und sonstiges Material beschafft werden durften, eine Kirche, zu der später eine zweite hinzukam, die unser Stolz und unsere Freude wurden. Künstler und Handwerker aus der evangelischen und katholischen Lagergemeinde wetteiferten miteinander, ihre Gotteshäuser so prächtig wie möglich herzurichten. So entstand ein wunderschöner Altar mit großen Flügelgemälden auf Goldgrund, Maria und Johannes darstellend. Ein Holzschnitzer fertigte einen lebensgroßen Kruzifixus, der Staunen und Bewunderung auch nicht kirchlicher Kreise erregte und zwar in einem solchen Ausmaße, das er vom Lagerkommandanten aufgekauft und nach Amerika überführt wurde. An seiner Stelle wurde dann ein zweiter gefertigt. Neben dem Altar wurde eine Kanzel errichtet. Von den kirchlichen Frauen im Frauenblock wurden Altartücher genäht, in den Tischlereien wurden Leuchter gedrechselt, die Fenster wurden verglast, mit buntem Papier verklebt, die mit altkirchlichen Symbolen bemalt wurden, an den weißgetünchten Rückwänden und Seiten der Baracken waren biblische Kernsprüche zu lesen. Schließlich gelang es auch, für die eine Kirchenbaracke ein Harmonium, für die andere ein Klavier in das Lager zu bekommen. „Herr, ich habe lieb die Stätte Deines Hauses“, diese Empfindung beherrschte allmählich die ganze Gemeinde.

Es wurde auch besonderer Wert darauf gelegt, die einzelnen gottesdienstlichen und sonstigen kirchlichen Veranstaltungen durch kleinere Plakate, die von Künstlerhand im Sinne der jeweiligen Veranstaltung ausgemalt wurden, anzukündigen. Diese Ankündigungen wurden wegen ihres künstlerischen Wertes weithin beachtet und später auch in mehreren kunstgewerblichen Ausstellungen gezeigt. Sie bildeten ein wichtiges Werbemittel und legten auch ihrerseits Zeugnis ab eines immer reicher sich entfaltenden Gemeindelebens im Lager. Es kam auch vor, daß solche Plakate gelegentlich unter dem Dunkel der Nacht von Bubenhänden verunstaltet wurden. Ein Vorfall ist mir in Erinnerung geblieben, wo diese Absicht eine gegenteilige Wirkung ausübte. Die Bildankündigung für einen Lesegottesdienst zeigte nämlich über einem aufgeschlagenen Buch ein überhöhtes Kreuz. Mit roter Tusche wurden nun etwa zwischen oberer Buchkante und Fuß des Kreuzes Hammer und Sichel eingemalt! Das war aber so plump und ungeschickt gemacht, daß in dieser Ankündigung das Kreuz geradezu über Hammer und Sichel triumphierte! Crux triumphans!

Es darf hervorgehoben werden, daß in den ersten Monaten der Internierung wirklich alle Hilfsmittel für den Gottesdienst fehlten. Nur der Lagerpfarrer und einige wenige Kameraden besaßen ein Neues Testament. Vollbibeln waren, soweit wir feststellen konnten, bei 12.000 Kameraden nur zwei vorhanden, wobei allerdings bemerkt werden muß, daß eine größere Anzahl von Testamenten und Bibeln bei der Einschleusung abgenommen worden war. Die wenigen Feldgesangbücher, die zutage kamen, gingen von Hand zu Hand und die bekanntesten Lieder wurden auf Zettel abgeschrieben und im Gottesdienst benutzt. Allmählich sickerten kleinere Gesangbücher verschiedenster Art in das Lager hinein, nach einigen Monaten waren es drei verschiedene Heftchen, immerhin ein Fortschritt und es konnten jeweils vor dem Gottesdienst wenigstens nur drei verschiedene Nummern für die Lieder bekanntgegeben werden. So war auch hier im Lager etwas von der allgemeinen Gesangbuchnot der deutschen evangelischen Kirche zu spüren. Eine andere Not, nur ungleich tiefer, zeigte sich bei dem Fehlen einer einheitlichen Liturgie. Es war eine der ersten Taten des Kirchenrates, eine einheitliche Liturgie zu beraten und sie dann verbindlich in Anlehnung an die Form der bayerischen Landeskirche im Lager einzuführen. Manchen mag vielleicht die Form unseres Lagergottesdienstes interessieren, sie sei deshalb mitgeteilt:

Lied – Introitus mit Gloria patris in der alten Fassung – ein Eingangsgebet (Dank, Sündenbekenntnis, Kollektengebet kombiniert) – Schriftverlesung – gemeinsam gesprochenes Apostolicum – Predigtlied – Predigt – Liedvers – Fürbittenschlußgebet mit gemeinsam gesprochenem Vaterunser – Segen.

Alle Ankündigungen wurden grundsätzlich, weil als störend empfunden, aus dem Gottesdienst herausgenommen und von einem Kirchenältesten vor Beginn des Gottesdienstes der Gemeinde bekannt gegeben.

Über die eigentliche und tiefere Bedeutung der Liturgie herrschte selbst bei den treuesten Gemeindegliedern eine große Unkenntnis. Das gab Veranlassung, in drei öffentlichen Vorträgen des Lagerpfarrers über „Liturgia sacra, von der Schönheit des Gottesdienstes“, über Sinn und Wesen des gottesdienstlichen Lebens zu sprechen. Es zeigte sich auch in der jungen Lagergemeinde dasselbe Bild, das man draußen im gesamten kirchlichen Leben immer wieder beobachten kann, daß die Liturgie gewissermaßen als ein schmückendes Beiwerk der Predigt angesehen wird, als eine Konzession an das Gefühlsleben, schwer zumutbar modernen fortschrittlich denkenden Menschen, aber immerhin als ästhetisches Schaustück geduldet, dessen Wert mehr oder weniger nach der Güte der musikalischen Darbietungen beurteilt wird. So denkt man heute in weiten Kreisen über die Liturgie. Daß in unserem Lager, vor allem den vielen christlichen Randexistenzen, von vorneherein Stellung und Wert der Liturgie im gottesdienstlichen Leben klar gemacht werden konnte, war ein unschätzbarer Gewinn. So konnte man beobachten, sicherlich auch aufgrund dieser gegebenen Hilfestellung, wie unsere Gemeinde sich immer stärker als vor Gott in der Anbetung stehend und handelnd empfand, wie es ihr aufging, daß sie mitten in den gegenwärtigen Anfechtungen in Gebeten und Lobpreisungen mit den Vätern und in ökumenischer Weite mit der Christenheit der ganzen Welt verbunden war. Auch wurde dort in der Lagergemeinde vielen deutlich und klar, welche Macht und Fülle der Anbetung im Liede der evangelischen Kirche beschlossen ist! Wie bedauerten die meisten der jungen Gemeindeglieder, daß sie die Lieder der Kirche so wenig gewürdigt und gekannt hatten. Und wie dankbar waren sie, daß durch einen wöchentlichen Singabend Gelegenheit gegeben wurde, Texte und Melodien zu lernen. So dauerte es nicht lange, bis in den Hauptgottesdiensten die Lieder zum Allgemeingut der Gemeinde geworden waren und aus tausend Männerkehlen als Lobpreis und Dank erschallten. Immer wieder wurde uns von katholischen Freunden gesagt, wie sehr sie die evangelische Kirche um dies Liedgut beneideten!

Auch über unseren Kirchenchor muß noch ein Wort gesagt werden. Was hier geleistet wurde, war wirklich ungewöhnlich! Ungewöhnlich insofern nämlich, als kein Notengut und keine Texte vorhanden waren, so daß alle Lieder und Chorwerke in ihren mehrstimmigen Sätzen aus dem Gedächtnis heraus neu gestaltet und erarbeitet werden mußten. Es ist das Verdienst unseres Bruders Schattenmann, seines Zeichens höherer Ministerialbeamter aus einem Berliner Ministerium, und unseres Chormeisters Ströse, der ihn später, als er unser Lager verlassen mußte, ersetzte, durch den Kirchenchor selbst und unsere Unterweisung so wesentlich für die Bereicherung unseres gottesdienstlichen Lebens beigetragen zu haben. Ihm danken wir die Aufführung einiger Kantaten, die er zusammen mit dem Kammerquartett Kleßaschek herausbrachte und aufführte. Solche Kantaten wurden zu Ostern, an den Sonntagen Jubilate und Kantate, zu Pfingsten und Weihnachten gesungen, und so wurde die Pflege der „Musica  sacra“ einer der wichtigsten Bestandteile unseres Gemeindelebens im Internierungslager. Als nicht unwesentlich sei noch erwähnt, daß mit Hilfe des Liedes und der Kirchenmusik den meisten Kameraden erst der Reichtum und die Fülle des Kirchenjahres erschlossen wurde. Doch zurück zum Gottesdienst im engeren Sinn.

Die besondere Predigtgabe unseres neuen Lagerpfarrers veranlaßte auch Neugierige und Sensationslustige, den Gottesdiensten beizuwohnen. Und da geschah des öfteren das Wunder, daß manche von diesen vom Wort angerührt und getroffen wurden. Der Lagerpfarrer machte es sich wahrlich nicht leicht, er wählte sich nicht das Wort selbst, sondern hielt sich, von Ausnahmen abgesehen, an die vorgeschriebenen altkirchlichen Evangelien und Episteln und legte sie aus. Viele empfanden diese strenge Auslegung als neuartig und staunten, daß jeder Text lebensnah und gegenwartsbezogen den Menschen in ihrer Verlassenheit etwas zu sagen hatte, staunten umsomehr, daß dies insbesondere auf die alttestamentlichen Texte zutraf! Es blieb nicht aus, daß die Predigten in einzelnen Baracken diskutiert und erörtert wurden. Anfangs fehlte es auch nicht an Hohn und Spott derer, die sich über die, die sich ins „Schlepptau der Kirche“ nehmen ließen, lustig machten. Das schadete nichts, im Gegenteil, es entstand Unruhe. Diese Unruhe und die daraus erwachsende Spannung trieb zu innerer Auseinandersetzung und Entscheidung. Der immer mehr zunehmende Gottesdienstbesuch blieb naturgemäß Vielen, die in den vergangenen Jahren die Kirche bekämpft hatten, ein Dorn im Auge. Jedoch ließen die anfangs laut und offen geäußerten Verhöhnungen immer mehr nach. Es wurde ruhig und still, und der öffentliche Angriff verlagerte sich in das persönliche Gespräch.

Aus der Fülle der großen Predigten, die fast alle mitstenografiert und mit unsäglicher Mühe übertragen wurden, aber leider verlorengegangen sind, möge im folgenden die unvergeßliche Predigt am Heiligen Abend besonders erwähnt werden.



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