Moosburg Online: www.moosburg.org
Stalag VII A: Zeitzeugen

Hauptmann Wilhelm H.

Die Aussonderung sowjetischer Kriegsgefangener

Die Soldaten der Roten Armee wurde im Stalag VII A anders behandelt als ihre alliierten Mitgefangenen. Das belegt nicht nur ihr überproportional hoher Anteil an den Toten, die auf dem Lagerfriedhof in Oberreit bestattet wurden: über 80 Prozent der im Stalag gestorbenen Gefangenen waren demnach Sowjetrussen, obwohl sie im Lager selbst durchschnittlich nur etwa 18 Prozent ausmachten. Hunger, Kälte und Entkräftung dürften die Hauptursachen gewesen sein.

Aber es ging noch weiter: Aufgrund des sog. "Kommissarbefehls" ordnete das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) an, aus den sowjetischen Kriegsgefangenen "unerwünschte Elemente" auszusondern, denen man "bolschewistische Betätigung" unterstellte, v.a. Politoffiziere (Kommissare) oder auch Juden. Die Aussonderungen wurden von der Gestapo und vom Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführers SS vorgenommen, aber die Offiziere der Lagerleitung waren angewiesen, sie dabei zu unterstützen. Zwar versuchten Oberst Nepf, Major Meinel und Hauptmann H. in Moosburg, zumindest durch "passiven Widerstand" diese Maßnamen zu hintertreiben, dennoch wurden Hunderte sowjetischer Kriegsgefangener im Stalag VII A und seinen Außenkommandos aussortiert, mißhandelt, in verschiedene Konzentrationslager (u.a. Dachau, Buchenwald und Mauthausen) transportiert und dort mit Genickschuß umgebracht. Insgesamt wird die Zahl der in deutscher Gefangenschaft ermordeten Rotarmisten auf 200 000 geschätzt.

Die folgenden Aussagen von Hauptmann H., der von 350 "ausgesonderten" Gefangenen bis zum März 1944 spricht, sind dem Buch von Alfred Streim (Sowjetische Gefangene in Hitlers Vernichtungskrieg. Berichte und Dokumente 1939-1945. Heidelberg: C. F. Müller Juristischer Verlag 1982, S. 39-41) entnommen:

Hauptmann Wilhelm H. berichtete über die Aussonderungen im Stalag VII A wie folgt: [ 14 ]

"Ich war von Oktober 1939 bis März 1944 im Stammlager VII A, Moosburg, als Abwehroffizier tätig. Meines Erinnerns wurden mir als Abwehroffizier im September 1941 die Befehle des OKW bekannt gegeben, wonach die Abwehroffiziere den Einsatzkommandos des SD bei der Überprüfung der russischen Kriegsgefangenen behilflich sein sollten. Kurze Zeit darauf erschien Krim.Kom. Schermer mit einigen SS-Leuten im Lager und stellte sich erst beim Kommandanten, Oberst Nepf, und dann bei mir vor. Ich empfing Schermer in Gegenwart meines russischen Dolmetschers, Baron von U.-St., und einigen anderen Dolmetschern, deren Namen ich nicht mehr weiß. Schermer gab bekannt, indem er mich deutlich auf meine Verpflichtung zur Mitarbeit aufmerksam machte, daß er mit seinen Leuten, die dafür vorbereitet waren, die Aussonderung der russischen Kriegsgefangenen nach politischen Gesichtspunkten durchzuführen hätte. Ich hakte sofort darauf ein, wie er denn das mit seinen Leuten, die doch kaum so genau über die politischen Verhältnisse in Rußland informiert sein könnten, machen wollte. Er sprach dann zunächst von Kommissaren usw. und ließ gleich deutlich durchblicken, daß mich das im Grunde nichts anginge. Gegen die Ausführung seines Auftrages konnte ich natürlich nichts machen, doch sorgte ich dafür, daß er nicht allein, d. h. mit seinen SS-Leuten, sondern in Begleitung meiner Dolmetscher ins Lager kam. Wie mir berichtet wurde, ging es dann ziemlich "human" zu, doch schien die Auswahl der Kriegsgefangenen, wie befürchtet, nur vom Gesichtspunkt einer möglichst zu erreichenden großen Zahl bestimmt zu sein. Die Folge davon war, daß an einem der nächsten Tage vor der Kommandantur ca. 200 russische Kriegsgefangene standen, die nach Dachau abtransportiert wurden. Was sich dort ereignete, bestätigte unsere Befürchtungen. Ich hatte, um mir Gewißheit zu verschaffen, u. a. einen meiner russischen Dolmetscher, den Theologiestudenten T., heutigen Rechtsanwalt T., zur Begleitung abkommandiert, der mir später mit dem Zeichen tiefster Erschütterung von den Vorgängen in Dachau berichtete. Schermer kam dann noch ein zweites Mal zu mir mit demselben Auftrag. Bei dieser Gelegenheit kam ich mit ihm bereits scharf aneinander, weil er von mir Fahrzeuge zum Abtransport der russischen Kriegsgefangenen verlangte, worauf ich ihm ins Gesicht sagte, er möchte doch die vor dem Lagertor stehenden großen Autobusse von Christian Weber (Anm.: Damals in Bayern bekannter SS-Brigadeführer, der Mitglied des Reichsverkehrsrates war) dafür verwenden. Meines Wissens erfolgte ein zweiter Abtransport russischer Kriegsgefangener nach Dachau mit ca. 150 Mann. Was mit diesen geschah, entzieht sich meiner Kenntnis. Vermutlich gingen sie aber denselben Weg wie die anderen. Einzuflechten habe ich noch, daß Schermer schon beim ersten Mal scheinheilig-zynisch äußerte, daß die abtransportierten Russen auf Arbeitskommandos kämen. Durch meine ausgesprochene Gegnerschaft veranlaßt, hat sich Schermer später nicht mehr bei mir sehen lassen und nur noch mit dem Kommandanten verhandelt. Größere Transporte sind, solange ich in Moosburg war, nicht mehr abgegangen. Was die Gestapo München noch herausholte, konnte meiner Ansicht nach nicht mehr wesentlich sein, da die gegnerische Einstellung des Lagerkommandanten und des Kommandeurs der Kriegsgefangenen in München unter Generalmajor von Saur und Major Meinel jeden Abtransport, auch einzelner Gefangener, mit allen Mitteln zu verhindern suchten ... Die Vernehmung der Russen durch die Gestapoleute, denen ich zweimal den Eintritt ins Lager freigeben mußte, dehnte sich, wenn ich mich recht erinnere, in beiden Fällen nicht über einen Tag aus. Wir hatten damals 1500 bis 2000 Russen im Lager, so daß für die Vernehmung des einzelnen höchstens fünfzehn Minuten verwendet werden konnten (maximal). Von einer individuellen Überprüfung konnte natürlich und sollte auch gar nicht die Rede sein ...

... die Gegnerschaft der Wehrmacht gegen SS und SD war so ausgeprägt und scharf, daß offene Zusammenstöße nur mit größter Mühe vermieden werden konnten. Ich selbst war Zeuge zahlreicher Telefongespräche zwischen Kommandantur und Generalkommando München, in denen Oberst Nepf klar zu erkennen gab, daß ihm die Zusammenarbeit mit Parteistellen oder Gestapo gegen seine militärische Ehre gingen und deshalb vom Generalkommando München nachdrücklich um Intervention beim OKW erbat ..."

[ 14 ] Aussage vom 5. 10. 1950 (Dok.Slg. ZSt., Film 141).

Anfang Quelle:

  • Alfred Streim: Sowjetische Gefangene in Hitlers Vernichtungskrieg. Berichte und Dokumente 1939-1945. Heidelberg Heidelberg: C. F. Müller Juristischer Verlag 1982, S. 39-41.

    Weitere Auszüge:
    Zeitzeuge Meinel
    Sowjetische Kriegsgefangene

Bürgernetz Weihenstephan Moosburg Online Stalag VII A
Zuletzt bearbeitet am 18.1.2000 vom © WebTeam Moosburg (E-Mail) - Es gilt das Urheberrecht!