50 Jahre Kindergarten St. Pius |
Zu unserer Kindergärtnerin mußten wir Tante Hedi sagen. Warum "Tante" konnte ich damals nicht richtig begreifen. Ich hatte ja schon eine richtige Tante und die heißt Tante Gerdl.
Mein Weg zum Kindergarten führte vom unteren Stalag, am ehemaligen Gefangenenlagerpark entlang, zum Bauern Gabriel, von hier über die hölzerne Mühlbachbrücke an einem Stadel vorbei, durch ein endloses Getreidefeld, bis zum oberen Stalag, der früheren Wachsoldatenkaserne. Der Weg durch die Getreidefelder war eintönig. Lieber machte ich einen Abstecher zu einer Schuttgrube. Diese befand sich in etwa an der heutigen Banatstraße, zwischen Böhmerwaldstraße und Dresdener Straße. In dieser Schuttgrube gab es für einen Jungen meines Alters manches "Brauchbare" zu finden. Manchmal zankten sich dort auch Frauen um alte Blechdosen und Holzabfälle.
Der Kindergarten befand sich seinerzeit in der gleichen Baracke wie heute. Der Eingang allerdings war damals hinten in Richtung Stadt. Dort trennte uns auch ein hoher, alter Stacheldrahtzaun von den angrenzenden Feldern. Unsere kindliche Neugier wurde immer wieder durch einen neben dem Kindergarten gelegenen Bunker (Luftschutzunterstand) erregt. Der Eingang war immer verschlossen. Später war unsere Neugier befriedigt, als wir erfahren mußten, daß der ehemalige Bunker "nur" als Kohlenkeller genutzt wurde.
Der Kindergarten selbst bestand aus einem großen Raum für damals 30 - 40 Buben und Mädchen. Ein zweites Zimmer war für uns Kinder nicht zugänglich, nur für Tante Hedi. Der Waschraum und die Toiletten waren noch aus der Militärzeit.
Täglich gab es vor der Essenspause einen Kampf um die Wasserhähne und wer zuerst zum Bieseln gehen darf.
Die Einrichtung des Aufenthaltsraumes bestand aus Holztischen, Holzstühlchen und einigen Holzregalen, alles zum Selbstkostenpreis hergestellt von den Königsberger Tischlern aus dem unteren Lager.
Die Masse unserer Spielsachen bestand aus Holzklötzchen verschiedenster Größe und Farbe, ebenfalls hergestellt von den Königsberger Tischlern. Als Luxusspielzeug hatten wir für die Buben ein Spielzeugauto aus Blech und für die Mädchen eine bekleidete Puppe mit Porzellankopf, Haaren und Schlafaugen. Nur die Bravsten der Braven durften das Auto einmal auf dem Boden schieben oder die Puppe streicheln. Mit Argusaugen wurde von uns darauf geachtet, daß nicht zu lange geschoben oder gestreichelt wurde.
Das Essen in der Frühstückspause, heute Brotzeit genannt, fiel eher dürftig aus. Margarinebrot ohne sonstigen Belag. Es waren damals magere Zeiten. Daheim hatten wir ja manchmal selbst kaum was zum Beißen. Das Mittagessen war für die damalige Zeit fürstlich. Es gab fast jeden Tag Nudelsuppe. Nur die Form der Nudeln war immer wieder anders. Dazu mußten wir ein Blechhaferl und einen kleinen Löffel von daheim mitbringen. Die Suppe brachten amerikanische Soldaten in einem großen Kessel mit einem Jeep vom Fliegerhorst Erding. Ein Soldat in Uniform, aber auch mit weißer Schürze und weißer Kochmütze bekleidet, teilte die Suppe aus. Es konnte auch nachgefaßt werden.
Ein Spielplatz im Freien war seinerzeit nicht beim Kindergarten. Zu diesem Zweck mußten wir zum ehemaligen Exerzierplatz gehen. In seiner Nähe befand sich ein großer Sandhaufen, aber eher mehr Dreck, als Sand. Ein zweiter Bunker erregte dort wiederum unser Interesse. Aber da waren auch nur Kohlen und Kartoffeln drin. Auf diesem Exerzierplatz wurde übrigens nach meiner Kindergartenzeit sommers ein Tennisplatz und Winters ein Eisplatz zum Schlittschuhlaufen angelegt. Heute steht dort eine Wohnsiedlung zwischen Schlesier- und Banatstraße, bzw. Altvater- und Saliterstraße.
Ab Spätsommer bzw. Frühherbst wurde bereits geübt für Weihnachtsspiele. Es war zwar zeitlich nicht besonders passend Ende der Badesaison schon an Weihnachten zu denken, aber irgendwas mußten wir ja tun. Kurz vor Weihnachten führten wir Krippenspiele auf. Einmal durfte ich den Josef spielen. Ein seltsamer Josef war das, mehr ein Schloßgeist, als der Pflegevater unseres Christkindes. Kurze Hosen (Shorts) bei winterlichen Temperaturen, gestrickte lange Strümpfe aus kratziger Wolle, gehalten von Strumpfhaltern, wie bei Damen aus dem Pariser Lido und hohen Lederschuhen, drei Nummern zu groß (damit sie die nächsten Jahre noch paßten). Über den Oberkörper trug ich nur ein weißes Bettuch als Umhang, auf dem Kopf ein kariertes Geschirrtuch mit roten Weihnachtsband gehalten, ähnlich dem Palästinenserführer Arafat.
Kleine Weihnachtsgeschenke und Fressalien brachten wiederum die Amerikaner aus Erding. Sie sagten dazu allerdings nicht Geschenke vom Christkind, sondern von Santa Claus. Zu dieser Zeit konnte ich erstmals einen rabenschwarzen Neger aus der Nähe betrachten. So furchterregend dieser amerikanische Soldat aussah, so gutmütig war er. Geschenkpackungen mit allerlei Klimbim, typisch amerikanisch, wurden verteilt. Jedes Kind bekam unter anderem ein Jojo, daran kann ich mich sehr gut erinnern. Am gefragtesten waren jedoch Schokolade und Kaugummi.
Etwas sollte nicht unerwähnt bleiben. Damals kostete der Besuch des Kindergartens halbtags 50 Pfennig pro Woche. Meine Mutter gab mir jeden Montag einen 50-Pfennig-Schein für Tante Hedi mit. Man hat schon richtig gelesen: 50-Pfennig-Schein. Zur damaligen Zeit war nämlich fast alles Geld aus Papier. Es gab auch 1-Mark-Scheine, 2-Mark-Scheine, 10-Pfennig-Scheine und 5-Pfennig-Scheine. Nur das 1-Pfennig-Stück war schon aus Kupfer (Prägung 1948 oder 1949, findet man heut manchmal noch).
Zuletzt bearbeitet am
1. 8. 1998 von Wolfgang Müller
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