17. April 1945.
Verhaftung in Schwarzenfeld und Transport nach
Schwandorf.
Wie war das doch bei meiner Verhaftung? Heute, nach fast
vierzig Jahren muß ich mich erstmal besinnen, zuviel ist in
der Zwischenzeit an wichtigen Ereignissen vor unseren Augen
abgerollt. Aber jetzt sehe ich ihn wieder deutlich vor mir,
den bulligen Polen, der in die Wohnung stürmte und einen mit
Maschinenpistole im Anschlag haltenden Ami-Soldaten mit sich
riß. Die Kammertür flog auf, der Pole kam hereingestürmt und
unterbrach mich, der ich mit Packen für meine Radtour
beschäftigt war, die mich am nächsten Tag auf die Reise nach
Hallendorf bringen sollte. Was heißt unterbrechen? Man könnte
meinen, wenn ich das so freundlich formuliere, daß er in
höflichen Ton zu mir gesprochen hätte - aber keineswegs! -
hands up, das war alles was er sagen konnte und das genügte
mir auch. Ich richtete mich auf und nahm die Arme nach oben.
Er guckte in dem Zimmer herum, beorderte mich die beiden
Koffer mit Anzügen und Wäsche zu füllen, ging dann zum
Nachttisch, öffnete dessen Schublade und nahm meine gute alte
goldene Uhr - die mal meines Großvaters gewesen war - steckte
sie mitsamt der Kette in seine Brusttasche, während seine
zweiten gierigen Finger die 1.000,- Mark ergriffen, die
daneben lagen und ohne irgend ein Zögern verschwanden auch
sie in einer seiner ausbeulenden Taschen. So war in wenigen
Sekunden unser ganzes Geld und Gut, das wir durch die Zeit
gerettet hatten dahin - verflogen - futsch! Alida's Gesicht
war weiß wie die Wand und die Kinder scharten sich furchtsam
vor der offenen Tür. Nur der Ami-Soldat machte ein betretenes
Gesicht. Und ich konnte meine Arme wieder herunter nehmen und
beginnen die Koffer voll zu packen. Die Tatsache meiner
Verhaftung wurde mir durch Androhen eines Pistolenlaufs klar
gemacht. Dann verließ der Pole den Raum um die übrigen Zimmer
zu inspizieren und ließ mich mit dem Ami allein. Ich nahm
allen Mut zusammen und sagte: "As you see, I am father of
five little children, please may I take some items out of my
baggage for those little kids?" Er guckte mich groß an, dann
drehte er sich zur Wand und sagte: "I don't be seeing
anything!" So riß ich schnell einige von den Sachen wieder
aus meinen beiden Koffern und schmiß sie unter das Bett.
Schon kam auch der Pole zurück. "Come on, let's go!!" Ich
nahm beide Koffer, drückte meine geliebte Alida kurz und fest
an mich, und verließ mit einem langen Blick auf' die Kinder -
sie alle, Marili die große, Ule, Knut, Kai und die kleine
Gunda - das Zimmer und unser Heim.
Draußen stand ein Jeep. Alle möglichen Menschen standen in
großem Bogen um ihn herum. Ich wurde hinten hineingestoßen,
meine beiden Koffer hinterhergeworfen und der Pole setzte
sich neben den Fahrer.
Dann fuhren wir ab. Alida und die Kinder wurden allmählich
immer kleiner. Dann machte die Straße einen Bogen. Die
kleinen Häuschen schoben sich in das Bild und waren bald das
letzte, was ich von unserer Oberpfälzer Heimat, von unserem
kleinen Häuschen noch sehen sollte.
Ich weiß garnicht wie mir war. Ich war einfach benommen
und hatte einen schweren Kloß in der Brust.
Über die bekannte Chausee fuhren wir nach Schwandorf. Vor
einem Lokal am Marktplatz machten wir halt. Ich wurde
hineingewiesen, hinunter in den Keller. Die Tür schloß sich
hinter mir, ein Schlüssel drehte sich im Schloß und ich stand
in einem dunklen Raum. Unnötig zu sagen, daß meine beiden
Koffer auf und davon waren. Sie waren mit dem Polen im Wagen
geblieben.
Da war ich nun im Keller. Allmählich gewöhnten sich die
Augen an die Dunkelheit . Ich vermochte Menschen auszumachen,
die auf dem Boden herumlagen. So legte ich mich auch bald
irgendwohin und döste wie sie.
Die Kälte des nackten Steinfußbodens kroch langsam in mir
hoch. An Schlaf war nicht zu denken. Allmählich merkte ich,
daß es auch den anderen so erging. Ein Husten und Rumoren
ertönte im ganzen Raum. Es mochten wohl alles in allem ein
Dutzend Menschen sein, die wie ich hier frierend
eingeschlossen lagen. Langsam merkte ich, daß ich unter die
Wölfe gefallen war. Aus den Gesprächsfetzen konnte ich
schließen, daß die anderen alle KZler waren. Menschen, die
sich im Freien herumgetrieben und einzelne andere
drangsaliert hatten. Wie auch ich vor einigen Tagen von drei
Mann, die mit kräftigen Knüppeln bewaffnet waren, vom Rad
gerissen und verprügelt worden war. Ich mußte von Dank sagen,
daß die sechs Eier, die mir eine bekannte Frau - der ich
Nachricht von ihrem Mann gebracht hatte - für meine Familie
gegeben hatte, bei dem ganzen Gerangel nicht nur in meiner
Hand geblieben waren, sondern auch noch heil und ganz waren.
So war mir, von ein par Stockhieben abgesehen nichts weiter
passiert, als daß mein Rad geklaut war und ich mich humpelnd
auf den Heimweg machen mußte. Es waren mühselige fünf
Kilometer die ich so zu humpeln hatte.
Ja, so ähnlich oder auch schlimmer werden es die Kumpane
getrieben haben, die mit mir im Keller einer langen Nacht
entgegensahen. Es wurde natürlich bekannt - ich versuchte
auch garnicht, es zu verschweigen - daß ich als Nazi
eingesperrt worden war, während sie doch alle Kämpfer für die
Freiheit und gegen das NS-System gewesen wären. "Du wirst
schon sehen, wie es sein wird im KZ", redeten sie. Doch im
Laufe der Zeit hieß es: "Na, du bist jetzt ja ein Kumpel von
uns. Uns haben die Armlöcher wieder eingesperrt, weil wir
versuchten, uns an denen da draußen schadlos zu halten, aber
das wird morgen früh vorbei sein. Aber dich, dich haben die
erst mal zu fassen, und dich lassen die nicht wieder los!
Weißt du, wie du dich verhalten mußt um möglichst gut durch
das KZ zu kommen? Erst mal mußt du ...," und so redeten sie
her und hin, wie man zu Kartoffeln kommen könne und auf
welche Weise man am besten in ein Arbeitskommando gelangen
könne... so vergingen die Stunden der Nacht. Zum Schluß
fühlte ich mich geradezu als in eine große Gemeinschaft
gehörig. Ich habe über meine Erlebnisse in dieser Nacht schon
im vorigen Band berichtet und will es nun dabei. bewenden
lassen. So verrann die erste Nacht.
Nach fast einem Jahr Gefangenschaft der erste
geschmuggelte Brief.
Am 31. Januar 1946 hatte ich zum ersten mal die
Möglichkeit einen Brief aus dem Lager zu schmuggeln. Fast ein
Jahr waren wir nun schon in Moosburg, wenige 100 km entfernt
von unseren Lieben und wußten bis heute nichts voneinander,
weder ob wir waren noch wo wir waren! Dieser Brief, den ich
unter falschem Namen als "dein alter Freund Fritz Schuster"
schrieb, kam tatsächlich an! Ein Wunder! So wußten wir
endlich voneinander und alles war gut!
31. Januar 1946
Liebe Alida
und liebe Kinder!
Nachträglich sende ich Euch, auch
im Namen meiner ganzen Familie meine herzlichsten
Glückwünsche zum Veuen Jahr. Ich hoffe sehr, daß ich Euch
in den nächsten Monaten einmal wieder werde besuchen
können. Dann werden wir uns endlich einmal in Ruhe über
alle die Dinge unterhalten, die uns am Herzen liegen. Zu
Weihnachten und Neujahr habe ich sehr auf Nachricht von
Euch gewartet. Man macht sich immer gleich so sorgenvolle
Gedanken, wenn nichts von Euch kommt. Dann, endlich, am l7.
Januar kam Euer liebes Paket. Ich war zu Tränen gerührt
über alles und die kleine Zeichnung und die Zeilen und das
Marzipan und das fabelhafte Gebäck und das Roggengebäck.
Der Füllhalter war leider verloren (in Wirkichkelt hatte
ihn der kontrollierende Pole vor meinen Augen in die Tasche
gesteckt! - Eingefügt am l5. März 1983.) Und auch irgend
Heftchen, das anscheinend drin war. Aber der Schlafanzug
ist der Eleganteste, I ever have had. Ich fürchte nur
immer, daß Du, liebe Alida, Heinz zu sehr um diese guten
Sachen beraubst. Er braucht die Dinge doch sicher selber,
wenn er aus Moosburg zurückkommt. Hast Du ihm schon
geschrieben? Du weißt doch, daß man das jetzt unbeschränkt
kann. Mir schicke also bitte immer nur Sachen, deren
Verlust verschmerzt werden kann. Persönlich geht es mir
entsprechend ausgezeichnet. Ich habe in den letzten drei
Monaten sogar 16 Pfund zugenommen und wiege setzt schon
wieder soviel wie bei Einlieferung in das Lager. Du
brauchst also wirklich Lebensmittel nur soweit zu schicken,
wie Ihr sie wirklich entbehren könnt.
Meine
Gedanken sind immer wieder bei Euch. Nachdem der Schwan
verschwunden ist, gebe ich jetzt meine Wünsche dem Orion
mit.
In
herzlicher Kameradschaft
Dein alter Freund Fritz Schuster
Aus meinem Tagebuch
Sonntag, den 17.02.1946
17.30 Uhr. Unser Block-Chor gibt ein lustiges Programm.
Wistinghausen macht geniale Reim-Ansage. Er benutzt dazu auch
meinen Busch: Kritik des Herzens (den ich Weihnachten
Neumaier geschenkt habe. Großer Beifall dankt ihm. Das Chor
singen macht mir immer wieder große Freude. Es gibt stets
eine Stunde befreiter, fröhlicher Stimmung. Das Programm:
Die Bedanken sind frei
Es hat ein Bauer ein schönes Weib
S'Dirnd'l hat gesagt
O hängt ihn auf
Oper
Lagergeräusch
Räuberlied
Es, es, es und es es ist ein harter Schluß
Montag, den 18. Februar 1946
Immer noch kein Brief von Alida! 14.00 Uhr. Mitwirkung des
Block-Chors in Lutherfeier anläßlich seines 400-jährigen
Todestages. Wir singen:
Erhalt uns Herr bei Deinem Wort
Jesus Christus
Gegenüber den gedankentiefen Ausführungen von
Herbert Böhme am Sonntag wirkt die Rede Pfarrers Roth wie
eine Phrasensammlung. Er hat schon viel besser gesprochen.
Sehr ausdrucksvoll sind dagegen die vorgetragenen
Luther-Worte. Man muß sie lesen.
Dienstag, den 19. Februar 1946
Die Konstruktion des Kleinstautos
[für den US-Sergeant Schwarz; Anm. v.
Moosburg Online] geht rüstig voran und macht nach wie
vor viel Freude. Von Alida noch immer keine Zeile! neben mir
arbeitet ein Buchbinder. Er bindet sauber mit Können und
handwerklicher Liebe ein: "Woran Deutschland zerbrach -
Militärtechnische Ursachen des Zusammenbruches". Mit gleicher
Berufsliebe mit der ich ein Kinderauto konstruiere!
Mittwoch, den 20. Februar 1946
Inzwischen wiege ich wieder 61,6 kg. Im August waren es 50
kg. Leider immer noch Wasser in den Beinen trotzdem ich schon
eine Woche lang nicht einen Schluck getrunken habe!
Konstruktionsarbeiten am Kleinauto. Neuer Auftrag durch H.
Pohle für die Amis. Möglichkeiten der Motorisierung auf
Grundlage der gegebenen Rohstoffbasis untersuchen. Ganz große
Sache! 19.00 Uhr. Vortrag Pauly über die Kolonisierung der
Wolgadeutschen. Vom bitteren Anfang 1762/63 bis zum
tragischen Ende im Mai/Juni 1941.
Montag, den 25. Februar 1946
Auf der Paketliste erschien der Name Behrens. Leider mit
Vornamen Oskar! Immer noch kein Lebenszeichen von daheim.
Von frühmorgens an intensiv gearbeitet. Ehe ich es merkte,
war es 19 Uhr. Um 20 Uhr Chorprobe.
Dienstag, den 26. Februar 1946
In der Nacht auf heute mußten wir unsere Baracke räumen
weil sie entwest werden sollte. Heute morgen, als man sie
öffnete, krabbelten die Wanzen jedoch noch lustig herum. Man
will es noch einmal versuchen. Ich muß also noch eine Nacht
in der "Stube" von Neumeier auf dem Tisch schlafen! Übrigens
haben mich die Wanzen bisher völlig in Ruhe gelassen.
Vielleicht werden sie jetzt durch den Gaskrieg so richtig
aggressiv.
Heute abend steht mein Name auf der Liste der
Postpäckchen. Ob es diesmal stimmen wird? Und ob ein Brief
dabei ist?
Mittwoch, den 27. Februar 1946
Und wieder war es kein Päckchen von Alida! Aber eines von
den Eltern! Wieviel mehr würde ich mich gefreut haben, wenn
ich nicht so sorgenvoll auf Nachricht von Alida wartete!
Heute habe ich zum erstenmal wieder einer Stenotypistin in
die Maschine diktiert! Den Bericht: Das Treibstoffproblem im
Rahmen der Motorisierung Deutschlands.
Donnerstag, den 28. Februar 1946
Zur Zeit üblicher Tagesablauf:
06.00 bis 06.30 Aufstehen.
08.00 bis 11.00 Arbeit an Konstruktion des Kleinautos und
an den Berichten.
12.00 1500 m Lauf, Mittagessen
12.00 bis 13.00 Englische Konversation. (Mit Richard
Hartmann). Anschließend wieder in Baracke 25, der
"Intelligenzbaracke".
Zwischendurch Abendessen
Außerdem:
Dienstags und Donnerstag: 18.00 bis 18.45 Dolch
"Philosophie".
Montag, Dienstag, Freitag, Sonnabend 20.00 bis 21.00
"Chorprobe".
An anderen Vorträgen kann ich wegen meiner Tätigkeit in
Baracke 25 nicht teilnehmen.
20.00 "Bettruhe".
Mittwoch, den 6. März 1946
Gestern war große Empörung im Lager. Radio gab die Rede
von Jackson aus Nürnberg durch, worin behauptet wurde, wir
wären darauf hingewiesen worden, bei unserer Vernehmung, daß
wir uns zur Anklage gegen die Organisationen äußern könnten.
Aber trotzdem Tausende von SS-Angehörigen und Politischen
Leitern in Moosburg wären, hätte sich keiner gemeldet! Keiner
habe Interesse am künftigen Geschick Deutschlands! Soweit
Jackson. - Tatsache ist, daß eine ganze Anzahl Internierter
in dieser Sache Eingaben gemacht hatten, deren Weitergabe
abgelehnt wurde. Tatsache ist ferner, daß uns ausdrücklich
verboten wurde, weitere Eingaben in dieser Sache zu machen.
Eine gute Instruktion für die Unbelehrbaren! Der
Bürgermeister (des Lagers, ein Internierter! hat
entsprechenden Pro- test nach Nürnberg gerichtet. Ob er
ankommt?
Immer noch keine Nachricht von Alida. Gestern
habe ich Suchkarte durchs Rote Kreuz abgegeben. Ob Alida auch
nichts von mir weiß?
Von morgens früh bis abends spät in diesen letzten Tagen
meinen Bericht über Treibstoffversorgung... in Maschine
diktiert. Er soll Sonnabend fertig werden.
Donnerstag, den 7. März 1946
Ein Freudentag! Ein Brief und ein Päckchen von Alida!
Abgeschickt aus Schwarzenfeld, am 4. März 1946.
Anscheinend hat die Gute schon häufiger
geschrieben, ohne daß ihre Briefe angekommen wären. Denn
dieser Brief klingt garnicht wie ein erster! Aber die ganze
Stimmung klingt mutig und stark und auch nicht nach
Isolation. Ein glücklicher Tag.
Sonntag, den 10. März 1946
Ein richtiger gemütlicher Nachmittag mit Osso und
Neumeier. Ich hatte eine Büchse Meat and Vegetables gefaßt.
Die Beiden gaben eine Büchse Fleisch und Kartoffeln hinzu.
Das gab ein Essen, wie ich es im Lager überhaupt noch nicht
gehabt habe. Dann opferte Osso eine letzte Zigarre. Das ergab
sechs Zigaretten! Dazu eine Tasse Kaffee und von Neumeier ein
Stück Kuchen. - Ein denkwürdiger Tag!
Heinz
Behrens, Nr 5496, Civ.Int.Camp, Moosburg
Samstag Nachmittag, den 9. März 1946, eing: 12.
Geliebter
Heinz!
Heute nur
einen kurzen Gruß. Hier ist also der Leimtopf mit
Einsatztopf zum Wärmen der Suppe. Etwas zur Übung für Deine
Zähne. Anfang nächster Woche kommen einige Eier und etwas
Butter. Nächste Woche geht hier die Gartenarbeit los.
Zunächst noch einmal die Grube ausleeren, dann umgraben.
Heute hat Herr Ivo vor den Fenstern ein Stück umgegraben
für Frühbeete. Da kommen dann später Tomaten hin. Ule und
Gunda haben eine leichte Grippe. Knut hustet. Den anderen
geht es gut.
Tausend
innige Grüße Alida und die Kinder.
Kaum hatte ich das Päckchen mit seinem
köstlichen Inhalt und den Brief mit innerer Rührung zu mir
genommen, da wurde ich schon wieder aufgerufen. Ein weiterer
Brief von Alida - vom 27. Februar!, eingegangen auch heute,
am 12. März 1946 - wurde mir übergeben. Ich nahm ihn und las
ihn, auf meinem Lieblingsplatz an der äußeren Barackenwand
sitzend. Der Blick ging dort in die weite wellige Ferne. Die
Menschen arbeiteten dort auf den Feldern unn der Stacheldraht
der uns umgab und uns von ihnen und von der Freiheit trennte,
war wie eine vergessene, unsichtbare Wand zwischen dem Hier
und dem Dort, zwischen der Enge und der Weite.
Donnerstag, den 21. März 1946
Heute war Großkampftag! Es ging ein:
Von Alida:
1 Paket mit 2 Broten!
1 " " Kissen!
1 " " Haferflocken!
1 " " Roggenplätzchen!
Von Erika Bittmann:
1 Paket mit Stahlbeton-Kalender!
Heinz
Behrens. No 5496 Moosburg
Alida Behrens, Schwarzenfeld Den l6. März 1946, eing: 29.
März.
Liebster
Heinz!
Ich hatte
Dir zwar für diese Woche etwas Butter und ein paar Eier
versprochen, aber leider hat es nicht geklappt. Dafür
schicke ich Dir hier Deine geliebten und sicher Slang
entbehrten Haferflocken!, Salz und fertige Suppe, die sehr
gut ist. Du wirst Dir sicher etwas daraus zurechtbrauen
können. Ich habe kürzlich lange mit einem Mann gesprochen,
der acht Monate in Hessen in einem Lager war. Daher weiß
ich so ziemlich wie es auch Dir ergeht und bin erheblich
beruhigt. - Mit gleicher Post geht auch ein Paket mit Brot
an Dich ab. Du mußt jetzt auf Vorrat futtern, im nächsten
Morlat werde ich wahrscheinlich nicht so schicken können,
weil die Rationen etwas gekürzt werden. Am Dienstag haben
wir die Miete aufgemacht. Alles war tadellos! Ein paar
Steckrüben und rote Rüben schicke ich Dir auch. Du mußt sie
Dir fein schaben. Ich habe sehr viel Arbeit gehabt in
dieser Woche. Ich bin immer noch hinter dem Buch für Dich
her.
Tausend
Küsse Deine Alida.
Dienstag, den 2. Apri1 1946
Und nun soll der Humor auch nicht ganz vergessen
werden.
Es lagen einige Kameraden am Aussenzaun des Lagers in der
herrlichen Sonne, Draußen fuhr ein alter Bauer mit seinem
Gespann vorbei. Als er kurz stehen blieb und sich den Schweiß
von der Stirn wischte, rief er ins Lager herüber: "Es ist
doch unerhört, dort liegen die jungen Kerle faul in der Sonne
und wir alten Männer müssen schwer arbeiten!" Prompt ertönte
die Antwort: "Ja, Alter, wenn du Nazi gewesen wärest, dann
könntest du jetzt auch hier in der Sonne liegen!" (Der Alte
war einer der wenigen, die ihre Felder um's Lager bestellen
durften.
Heute wurde im Lager eine Aktion wegen der "Kristallnacht"
durchgeführt. Wir mußten alle eine Eidesstattliche Erklärung
abgeben, inwieweit wir daran beteiligt gewesen waren. Meine
Erklärung lautete wie folgt:
"Lager
Moosburg 15-21 Moosburg, den 10.4.46
Eidesstattliche
Erklärung
Der
Unterzeichnete, wissend, daß die nachstehende
eidesstattliche Versicherung zur Vorlage bei dem
Internationalen Militär - Tribunal in Nürnberg bestimmt,
und daß die vorsätzliche oder fahrlässige Abgabe einer
inhaltlich falschen eidesstattlichen Versicherung bestraft
wird, versichert hiermit die Richtigkeit der folgenden
Angaben an Eides statt.
Zur
Person: Heinz Behrens, geb 7.7.1903 in Bremen- Vegesack,
zuletzt Bereichsleiter (?) in Berlin Lager No 5496, Block
6, Baracke B.
Die
Ausschreitungen gegen die Juden im Jahre 1938 sind im Korps
der Politischen Leiter - soweit mir bekannt nicht
vorbereitet worden. Ich entsinne mich, daß ich zwei Tage
vorher - eine Dienstreise nach Berlin antrat und mich
vorher ordnungsgemäß bei meiner damaligen Gauleitung
Schleswig- Holstein in Kiel abmeldete. Am Spätabend (gegen
23 Uhr des Tages an dem die Ausschreitungen stattfanden kam
ich nach Kiel zurück. Ich erfuhr erst am nächsten Morgen
von den Vorkommnissen. Wenn irgend eine Einschaltung der
Politischen Leiter vorgesehen gewesen wäre, hätte ich dies
sicher vorher erfahren.
Heinz
Behrens"
Sonntag, den 5. Mai 1946
Aufführung von Sophokles: König Ödipus. In der vergangenen
Woche: Kabale und Liebe. Staatsintendant Meißner aus
Frankfurt/M inszeniert hervorragend!
Donnertag, den 16. Mai 1946
2 Backenzähne, rechts unten gezogen. Gestern Impfung gegen
Fleckfieber. Nachem vor kurzem der älteste Internierte mit 84
Jahren entlassen wurd, ist der nächste nur noch 80 Jahre
alt!
Montag, den 3. Juni 1946
Heute vor einem Jahr kam ich in Schwarzenfeld an. Welche
ereignisreiche Fahrt lag damals hinter mir und was habe ich
in diesen Tagen alles erlebt.
Donnerstag abend fragte man mich, ob ich Interesse hätte
mit dem Kommando Schwimmbad einige Tage "hinaus" zu gehen.
Eigentlich hatte ich ja kein Interesse, weil ich im
Arbeitskommando von Richard Hartmann tätig war, dort
Zusatzverpflegung bekam, während es im Schwimmbad nichts
gibt. Aber - was sich bietet muß man als Wink des Schicksals
ergreifen - und so sagte ich zu.
Am Freitag früh gingen wir in Kolonne am Bahnhof Moosburg
vorbei, als wie üblich gerade die Menschen aus ihm heraus
strömten. Aber im Gegensatz zu sonst, waren es nicht die
Reisenden des Schnellzuges aus Regensburg, sondern es war
ausnahmsweise der Personenzug früher eingefahren worden.
Heraus kam - Antonie [Ehefrau des
Mithäftlings Hartmann; Anm. v. Moosburg Online]! Sie
konnte mir gerade noch zurufen: "Sie ist bei mir! - und ich
entsprechend antworten!
Dann erlebte ich am Sonnabend ein Glück, wie es nur
einmalig sein konnte. Alles verlief glücklich, wie es wohl
sonst noch keiner erlebt hat. Und das alles an dem Sonnabend
an dem ich vor einem Jahr genau so unerwartet zu Hause
ankam.
Quellen:
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