SZ vom 31.01.98 / Streiflicht
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31.01.98
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Das Streiflicht

(SZ) Es ist eine weitere große Unsicherheit über die schreibenden Deutschen gekommen, nur daß diesmal nicht die Orthographiereform daran schuld ist. Der Sächsische Genitiv sei „nicht zu stoppen“, meldet die dpa, und das klingt verdammt nach Krieg. Man stellt sich das förmlich vor: wie Kurt Biedenkopf in seinem Ehrgeiz, ganz Deutschland zu regieren, die Dresdner Staatskanzlei anweist, geeignete Waffen ausfindig zu machen; wie zunächst keiner etwas weiß; wie endlich ein älterer Ministerialdirigent, mehr aus Jux und um Biedenkopf auf andere Gedanken zu bringen, den früher angeblich sehr gefürchteten Sächsischen Genitiv erwähnt, der seiner Erinnerung nach irgendwo im Grünen Gewölbe liegen müßte; wie Biedenkopf: „Schafft mir den Kerl!“ ruft und alsbald den übrigen Bundesländern ein Ultimatum zukommen läßt, wonach der Sächsische Genitiv bereits an der Zwickauer Mulde stehe und er, Biedenkopf, Kapitulationserklärungen jederzeit entgegennehme.

Wäre unser kleines Märchen Wirklichkeit, so müßten solche Kapitulationsurkunden mit der Floskel „Stet’s zu Diensten“ enden. Sie ist jetzt schon auf Zigarettenautomaten zu finden und zeigt die beinahe groteske Macht, die der Sächsische Genitiv längst über uns alle hat. Richtig zum Bewußtsein kam uns das eigentlich erst nach der Wende, als die bisherige DDR, vormals „Zone“, auf einmal bereisbar wurde. Viele Autofahrer ratterten damals voll in eines der vielen Schlaglöcher, weil sie zu sehr damit beschäftigt waren, sich über Geschäftsnamen wie „Heidi’s Imbiß“, „Ulla’s Grillhütte“ oder „Erich’s ff. Broilerstation“ zu wundern. Seither hat sich dieser Genitiv, der bis dahin bei „Beck’s Bier“ und ein paar vergleichbaren Labels ein leise belächeltes Exotendasein geführt hatte, wie die Schwarzen Blattern ausgebreitet: „Oma’s Apotheke“ (Kneipe in Hamburg), „Mozart’s Geburtshaus“, „Dora’s Blumenlädle“. In Berlin wußte man sich, als der Briefaufdruck „Nur innerhalb Berlin’s nachsenden“ beanstandet wurde, nicht anders zu helfen als so: „Nur innerhalb von Berlin nachsenden.“ Daß besagter Genitiv mittlerweile auch den Nominativ Plural unterhöhlt, sei nebenbei erwähnt. Die Plattenfirma Jupiter Records suchte einmal junge Gesangstalente unter dem Motto „Bengel’s für Engel’s“ bzw. „Engel’s für „Bengel’s“.

Natürlich kommt die Manie nicht von ungefähr, sondern aus dem Englischen; daher auch die Bezeichnung (Angel)sächsischer Genitiv und die Angst mancher Sprachhüter vor der kurz bevorstehenden definitiven Überfremdung. Pessimisten dürfte das alte, schöne Firmenzeichen von Electrola wie eine böse Allegorie vor Augen stehen: Der Slogan „His master’s voice“ und im Bild das kleine deutsche Hündchen vor dem gewaltigen englischen Grammophontrichter. Optimisten deuten die Szene so, daß Trichter und Hund sich bestens unterhalten.

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Copyright © 1997, 1998 - Süddeutsche Zeitung. Diese Seite wurde am 30.01.98 um 20:06 Uhr erstellt. SZonNet 3.1
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